Berufe im Bundestag: Was haben die Abgeordneten eigentlich gelernt?

Pressebericht, Berliner Zeitung, 17.05.2018

Berlin - Die 709 Abgeordneten, die im Bundestag sitzen, sollen hauptberuflich das Volk vertreten. Doch was befähigt sie eigentlich dazu? Welche Ausbildung haben die Politiker, die in der 19. Legislaturperiode die Interessen der Bundesbürger repräsentieren sollen?

Das Klischee vom Lehrerparlament jedenfalls stimmt längst nicht mehr. Die größte im Bundestag vertretene Berufsgruppe stellen mit Abstand die Juristen: 152 Abgeordnete haben das entsprechende Studium abgeschlossen. Die Mehrheit hat eine Rechtsanwaltszulassung, aber es sind auch Richter und Staatsanwälte unter den Volksvertretern. Mit mehr als 20 Prozent aller Abgeordneten sind die Juristen damit deutlich überrepräsentiert – was den beruhigenden Schluss zulässt, dass die Parlamentarier in Sachen Gesetzgebung nicht völlig ahnungslos sind. Zumal Juristen in jeder Partei vertreten sind. Das gilt übrigens auch für die 14 Mediziner im Bundestag: Jede Partei stellt mindestens einen. Neben einer Professorin für Herzchirurgie und einem Zahnarzt sind auch zwei examinierte Tierärztinnen darunter.

Lehrer nur auf Platz vier


Der Lehrerberuf wiederum liegt mit 35 Abgeordneten erst auf Platz vier – hinter den Wirtschaftswissenschaftlern (115 Abgeordnete) und den 61 Politikwissenschaftlern im deutschen Parlament. Auch Naturwissenschaftler (29), Ingenieure und Soziologen (jeweils 25) sind vergleichsweise oft vertreten. Außerdem gehören zehn Polizisten und Polizeibeamte dem 19. Deutschen Bundestag an, sechs davon stellt die AfD.

Ein Winzer und ein Schauspieler

Wer sich die Lebensläufe der Volksvertreter genauer ansieht, entdeckt aber auch Ungewöhnlicheres. Zu den „Exoten“ im Bundestag gehören der Schauspieler Michel Brandt (Die Linke) und der Berufspilot Thomas Ehrhorn von der AfD. Außerdem gibt es Architekten, Ernährungswissenschaftler, einen Militärseelsorger, einen Bestatter, einen Winzer und eine Diamantgutachterin im Parlament.

Einige Abgeordnete haben vor ihrer Politikkarriere gar mehr als einen Beruf erlernt. Wieland Schinnenburg von der FDP ist Zahnarzt und Rechtsanwalt, der ehemalige Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) Diplom-Kaufmann – und Müllermeister. Und die SPD-Abgeordnete Nina Scheer hat gleich drei Berufsabschlüsse: Nach ihrem Hochschulstudium im Fach Violine studierte Scheer Jura – und promovierte anschließend im Fach Politikwissenschaften.


Exoten im Bundestag

Vier Abgeordnete mit außergewöhnlichen Berufen berichten von ihrem Weg in die Bundespolitik:


Nina Scheer (SPD), Violinistin, Diplom-Juristin und promovierte Politikwissenschaftlerin

Nina Scheer wollte nie nur Geige spielen. Aber die Musik gehörte immer zu ihrem Leben.

„Bevor ich Violine studiert habe wusste ich, dass ich nie reine Musikerin sein möchte. Zugleich war Musik in meiner Jugend ein Teil von mir, ein Teil meiner Identität. Das anschließende Jurastudium und die Promotion im Fach Politikwissenschaften habe ich eher als das Erlernen von „Handwerkszeug“ betrachtet, ich habe mich nicht als Anwältin oder Richterin gesehen. In die Politik zu gehen war kein konkreter Entschluss. Ich habe immer gern Verantwortung übernommen, schon als Schülersprecherin, später im Orchesterbeirat oder etwa als Konzertmeisterin des Bonner Jugendsinfonieorchesters und des Bonner Universitätsorchesters sowie auch während meiner Berufsjahre als Geschäftsführerin von UnternehmensGrün e.V.. Es gab viele Schritte, die dazu beigetragen haben, dass ich mich schließlich für ein Bundestagsmandat interessiert habe. Daher stört mich auch der Begriff „Beruf“ ein wenig, wenn es um das Abgeordnetenmandat geht. Im eigentlichen Sinne ist es kein Beruf; es ist eine Aufgabe, ein Auftrag, den Wählerinnen und Wähler erteilten. Dieses Verständnis sollte man nie verlieren.“


Michael Stübgen (CDU)
, Pfarrer

Als Pfarrer musste Michael Stübgen zuhören können. Das gilt auch für seinen Job als Abgeordneter.

 „Ich bin in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen. Für mich persönlich war aufgrund meines familiären Hintergrunds das Theologiestudium der einzige Weg, mein Abitur machen und dann studieren zu können. Im Jahr der politischen Wende, also 1989, habe ich meinen Dienst als Pfarrer angetreten. Diese Zeit war natürlich durch den politischen Umbruch gekennzeichnet, wie zum Beispiel die Teilnahme an den Montagsdemonstrationen oder später am „Runden Tisch“ im Hauptort meiner Pfarrgemeinde. Im Mai 1990 habe ich bei der ersten freien Kommunalwahl kandidiert, weil ich den politischen Wandel vor Ort nicht nur als Pfarrer, sondern direkt mitgestalten wollte. Dass mich mein Weg dann in die Bundespolitik geführt hat lag daran, dass ich wenige Stunden vor der Nominierung des Wahlkreiskandidaten von Parteifreunden gefragt worden bin, ob ich nicht kandidieren möchte. Lange überlegt habe ich nicht, da sich eine solche Chance wohl nie wieder geboten hätte. Als Pfarrer ist man Ansprechpartner für die Menschen vor Ort mit all ihren Sorgen und Nöten, aber auch für freudige Momente. Man muss zuhören und die Menschen auf ihrem Weg mitnehmen können. Letztlich ist es in der Politik nicht viel anders.“


Detlef Müller (SPD)
, Lokomotivführer

Detlef Müller wollte schon als Kind Lokomotivführer werden.


„Lokomotivführer ist mein Traumberuf. Ich habe als Kind mit meinem Vater zusammen an der Modelleisenbahn gebaut, und im Urlaub habe ich an Bahnstrecken gestanden und mir die Züge angeschaut. Die Technik, die Kraft der Lokomotive - das hat mich fasziniert. Dazu kommt: Als Lokomotivführer ist jeder Tag anders, selbst, wenn man dieselbe Strecke fährt. Es gibt keine Routine. Man ist Herr über eine gewaltige Maschine mit 4000 PS. Das ist eine enorme Verantwortung.
Ich hatte gar nicht wirklich damit gerechnet, Politiker zu werden. Bei den Stadtratswahlen in Chemnitzer 1994 bin ich auf Listenplatz acht angetreten – ich war eigentlich chancenlos. Aber ich bin tatsächlich gewählt worden. So fing es an. Bei der Bundestagswahl 2005 wiederum hat niemand geglaubt, dass die SPD in Chemnitz eine Chance hat. Aber ich habe das Direktmandat geholt. Ich empfinde das als große Ehre. Der Bundestag soll ja eigentlich die Bevölkerung widerspiegeln. Allerdings gibt es viele Abgeordnete, die ausschließlich in der Politik Karriere gemacht haben. Das finde ich problematisch, denn als Abgeordneter geht es doch um die Erfahrung, die man aus dem Alltag mitbringt. Ich glaube, dass mein früherer Beruf mich erdet. Ich lasse mich von dem Berliner Politikrummel nicht verrückt machen. Ich weiß immer: Es gibt auch noch eine andere Welt.“


Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen), Bäckerin und Betriebswirtin

Monika Lazar hat gern als Bäckerin gearbeitet. Der frühe Arbeitsbeginn allerdings war gewöhnungsbedürftig.

„Dass ich Betriebswirtin und Bäckerin bin, hat vor allem mit den Ereignissen 1989/90 in der DDR zu tun. Mein Studium an der Handelshochschule Leipzig war im Sommer 1990 zu Ende, eigentlich hätte ich danach eine Stelle gehabt. Dort wurde mir allerdings signalisiert, dass diese Abteilung sicher nicht mehr lange existieren wird. Da habe ich in der Bäckerei meiner Eltern angefangen zu arbeiten und 1993 meine Ausbildung als Bäckerin abgeschlossen. Ich habe bis 1996 in der Bäckerei gearbeitet. Schwer war das frühe Aufstehen. Gefallen hat mir, dass man jeden Tag ganz praktisch sieht, was man gemacht hat. Und wenn die Kunden sich freuen, wenn es schmeckt, dann ist das eine schöne Befriedigung. Dass ich die Politik gegangen bin, war keine hundertprozentig geplante Aktion. Ich war seit 1990 bei Bündnis 90/Die Grünen ehrenamtlich engagiert. 2002 habe ich auf Platz drei der Landesliste für den Bundestag der sächsischen Grünen kandidiert. Anfang 2005 bin ich dann in den Bundestag nachgerückt und seitdem Bundestagsabgeordnete. Berufserfahrungen sind in der Politik ein großer Vorteil und sie sorgen für die nötige Bodenständigkeit. Im (familiären) Bäckereibetrieb hat man viel mit Menschen zu tun. Da habe ich gelernt, zuzuhören und möglichst keine Floskeln als Antworten von mir zu geben. Auch habe ich gelernt, mit älteren Männern umzugehen, die in diesem Handwerk und in den Berufsverbänden ja stark vertreten sind.  Mir ist bewusst, dass ich in meiner Fraktion mit meinem beruflichen Werdegang schon auffalle. Aber ich bin durchaus stolz darauf.“

Autorin: Tanja Brandes

[Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/30418446]