Gekommen, um zu bleiben

Pressebericht, The European, 01.12.2011

von Monika Lazar

Das Problem Rechtsextremismus in Deutschland ist schon lange bekannt. Bleibt die Frage, warum es noch nicht gelöst wurde.

Ein Lauffeuer der Bestürzung ging durch Deutschland, als bekannt wurde, dass eine rechtsterroristische Nazi-Gruppe zehn Menschen tötete, Bombenanschläge und Banküberfälle verübte. Mehr als ein Jahrzehnt lang wurden die Taten nicht geahndet. Die bittere Wahrheit ist: Hätten die staatlichen Stellen nicht versagt, könnten mehrere Menschen noch leben.
Rechte Gewalt wird verharmlost

Die rechtsterroristischen Taten sind eine Schande für Deutschland. Aber ebenso ist es eine Schande, dass in Deutschland ein Nährboden für solche Taten besteht.

Wir sind es den Opfern schuldig, offensiv gegen Rechtsextremismus und alle rechtspopulistischen Grauzonen, die ihn stärken, vorzugehen. Die Gefahr für unsere Demokratie geht nicht nur von neonazistischen Schlägern aus, sondern auch von all jenen, die mit Ängsten vor „Überfremdung“, „Islamismus“ oder „linksextremen Randalierern“ spielen und so Tätern eine ideologische Rechtfertigung liefern. Es ist beschämend, dass nicht bereits nach den Brandanschlägen der 1990er eine umfassende Debatte über Rassismus geführt wurde. Stattdessen wird rechte Gewalt bis heute verharmlost, ein rechtsextremer Hintergrund häufig verneint.

Doch nun endet jede Verleugnung, denn eine Gruppe, die sich selbst als „Nationalsozialistischer Untergrund“ bezeichnete, mordete jahrelang mit eindeutiger Motivation. Das ist schrecklich, aber kein neues Problem. 182 Menschen starben laut der Amadeu-Antonio-Stiftung seit 1990 durch rechte Gewalt. Die offizielle Statistik erkennt jedoch nur 48 Fälle als rechtsextrem motiviert an. Herrscht hier komplette Unfähigkeit oder Blindheit auf dem rechten Auge? Dass in unseren staatlichen Institutionen, wie im Rest der Gesellschaft, rassistische Ressentiments bestehen, wird an dem vielfach ignoranten, teils sogar abfälligen Verhalten gegenüber Opfern oder ihren Angehörigen deutlich.
Ministerin Schröder und andere Unbelehrbare

Wir müssen die Terrorserie lückenlos und öffentlich aufklären. Aber vor allem gilt es, an der Wurzel des Übels anzusetzen und Rassismus, Rechtsextremismus und andere Formen einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit beim Namen zu nennen, auch in der „Mitte der Gesellschaft“. Prävention und Kooperation zur Sicherung unserer Demokratie müssen ausgeweitet werden.

Wir wollen mit einem 50-Millionen-Programm Initiativen stärken, die sich dafür in vielfältiger Weise engagieren. Das Konzept muss ein direktes Antragsrecht beim Bund und eine geringe Kofinanzierungspflicht für Träger beinhalten. Um das Know-how der Initiativen umfassend zu nutzen, ist eine unabhängige Beobachtungsstelle, die Wissen bündelt und vernetzt, zu diskutieren. Die inhaltlichen Kompetenzen von Polizei, Nachrichtendiensten und Justiz im Umgang mit Rechtsextremismus müssen erweitert werden. Neue Leitlinien und geeignete Fortbildungen sind hierzu zwingend erforderlich.

Ich hoffe, dass wir zu einer umfassenden Problemsensibilisierung kommen und die Debatten nicht wieder in einem aktionistischen Strohfeuer enden. Traurig ist, dass erst so grausame Vorfälle überhaupt zu einer Debatte geführt haben. Schwarz-Gelb bagatellisierte jahrelang die Gefahr von Rechts und verrannte sich in eine Scheindebatte gegen „Linksextremismus“. Aus dieser Fehlwahrnehmung heraus gängeln Ministerin Schröder und andere Unbelehrbare die zivilgesellschaftlichen Initiativen mit einer „Extremismusklausel“ und erschweren ihre Arbeit vor Ort. Dabei brauchen wir heute dringender denn je eine starke Zivilgesellschaft. Denn ganz offensichtlich hat der Staat bisher darin versagt, Rechtsextremismus zu erkennen und einzudämmen.

 

Quelle: www.theeuropean.de




Zur Person Monika Lazar

Die gelernte Betriebswirtin und Bäckerin ist seit 1993 Mitglied bei den Grünen. Von 1997 bis 1998 gehörte sie dem Landesvorstand der Grünen in Sachsen an. Seit 2004 ist sie Mitglied des Bundestages und seit 2005 Sprecherin der Bundestagsfraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus.

 
Hintergrund

Um die Bedrohung des demokratischen Gemeinwesens von Rechtsaußen ist es wieder ruhig geworden. Bei der Bundestagswahl erzielte die rechtsextreme NPD nur 1,5 Prozent der Stimmen, die Republikaner erreichten lediglich 0,4 Prozent, die Deutsche Volksunion kam gar nur auf 0,1 Prozent. Die Debatten um ein NPD-Verbot sind seitdem verstummt, auch rechtsextreme Gewalttaten machen nur noch selten Schlagzeilen, obwohl deren Zahl im vergangenen Jahr auf 1.113 gestiegen ist und damit so hoch ist wie zuletzt im Jahr 2001.

Die Medien haben andere Themen. Als im Sommer dieses Jahres in Dresden eine Ägypterin im Gerichtssaal von einem Ausländerhasser erstochen wurde, da musste erst die Empörung in islamischen Ländern hohe Wellen schlagen, bevor auch in Deutschland Journalisten dem Fall die gebotene Aufmerksamkeit schenkten.

Dabei gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Die NPD setzt weiter auf spektakuläre lokale und regionale Wahlerfolge. Zuletzt gelang ihr Ende August der Wiedereinzug in den sächsischen Landtag, auch in vielen Kommunalparlamenten ist die Partei mittlerweile vertreten. Die rechtsextreme Musikszene ist für viele Jugendliche weiterhin sehr attraktiv. Schleichend hat sich diese in Deutschland etabliert. Die kulturelle Modernisierung des Rechtsextremismus war in den letzten Jahren äußerst erfolgreich.
Kein Grund zur Entwarnung

Mittlerweile hat sich eine rechtsextreme Alltagskultur etabliert, die an manchen Orten bereits hegemonial ist, und dies nicht nur in Ostdeutschland. Rechtsrockkonzerte haben großen Zulauf. Auch weiterhin werden fast täglich Menschen in Deutschland Opfer ausländerfeindlicher Gewalt.

Zwar ist die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten nach Angaben des Verfassungsschutzes zuletzt auf etwa 9.500 zurückgegangen, 2008 waren es etwa 10.000. Aber vor allem die sogenannten “Autonomen Nationalisten” treten äußerst aggressiv und gewaltbereit auf. Sie suchen gezielt die Konfrontation mit dem Staat. Bereits mehrfach kam es auf Demonstrationen zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.