An der Parteispitze gibt es ein Gerangel um die besten Plätze – weit vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr
Obwohl der Termin für die nächste Bundestagswahl erst im September 2013 liegt, ist bei den Grünen eine Debatte über die Spitzenkandidaten entbrannt. Parteichefin Roth hat nun ein Machtwort gesprochen und sich selbst ins Gespräch gebracht.
von André Bochow
Berlin (MOZ) „An Personalspielchen beteilige ich mich nicht.“ Jürgen Trittin sagt das mit jenem Lächeln im Gesicht, das ihm manche als Arroganz auslegen. Aber dann setzt er im ZDF-Morgenmagazin noch einen drauf und kneift verschmitzt und verschwörerisch die Augen zu. Die Moderatorin hatte ihm gerade die „taz“ vor die Nase gehalten, in der ein Interview mit der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth abgedruckt ist. Überschrift: „Ja, ich stelle mich zur Wahl.“ Es geht um die Spitzenkandidatur bei der nächsten Bundestagswahl. Ist Roth also nicht so seriös wie Trittin, der sich nur um seine Aufgaben kümmert?
Mit dem Ferngeplänkel zwischen den beiden Parteilinken erlebt die Spitzenkandidaten-Diskussion einen neuen kleinen Höhepunkt. Im Zentrum der Auseinandersetzung agieren die sogenannten „Big Four“ der Grünen. Zu denen gehören neben Roth und Trittin die jeweiligen zweiten Hälften der berühmten grünen Doppelspitzen. Also: Renate Künast in der Fraktion und Cem Özdemir in der Parteiführung.
Es gibt gute Gründe, warum niemand auf die Idee kommt, die „Big Four“ als grüne „Vier Musketiere“ zu bezeichnen. „Einer für alle, alle für einen“ – davon kann beim Führungsquartett keine Rede sein. Das liegt unter anderem an den Prinzipien, nach denen die Grünen ihre Anführer auswählen. Nicht nur die geschlechtergerechte Aufteilung der Posten ist wichtig, sondern die Zugehörigkeit zu einem der beiden wesentlichen Parteiflügel. So gilt etwa für Cem Özdemir: „Du sollst keine Reala neben dir haben.“ Und schon gar keinen Realo. Umgekehrt duldet die grüne Partei-Logik keine linke Fraktionschefin an der Seite von Jürgen Trittin.
Dies muss wissen, wer verstehen will, welche innerparteilichen Eruptionen die Grünen gerade durchleben. Und damit daran möglichst viele teilhaben können, werden Gesprächsinhalte, auch der ganz besonders vertraulichen Zusammenkünfte, haarklein in die Öffentlichkeit gebracht. So durfte das staunende Publikum sich mittendrin im Streit zwischen Trittin und Özdemir wähnen, den diese kürzlich am Rande einer Klausur des Parteirates in einem Dresdener Restaurant austrugen. Trittin hatte seinen Vorsitzenden heruntergeputzt, weil Özdemir sein Liebäugeln mit einer Schwarz-Grünen Koalition kundgetan hatte. Die Partei hat damit schlechte Erfahrungen gemacht. Das Schielen zu den Schwarzen hat dazu beigetragen, den Berliner Grünen bei der Abgeordnetenhauswahl die Petersilie zu verhageln.
Womit wir bei Renate Künast wären. Nach allgemeiner grüner Ansicht hat sie die Berlin-Wahl, aus der sie eigentlich als Regierende Bürgermeisterin hervorgehen sollte, vergeigt. Daraus folgerten einige, ihre Position sei so geschwächt, dass sie als Spitzenkandidatin für den Bundestagswahlkampf nicht mehr in Frage kommt. Nach einem Auftritt während einer Realo-Klausur am vergangenen Wochenende soll sich keine einzige Hand zum Beifall für Künast gerührt haben. Und nun setzte parteiintern folgendes Denken ein: Wenn die Reala Künast nicht an die Spitze darf, Özdemir dorthin angeblich nicht will, der starke Mann in der Partei aber der Linke Jürgen Trittin ist und außerdem nicht gleichzeitig zwei Linke auf einmal herausragen dürfen, dann, so die Überlegung, könnte man es ja mal mit nur einem Spitzenkandidaten versuchen. Mit Jürgen Trittin. Daraus wird nun wohl nichts. Denn Claudia Roth hat auf ihre eigene Art auf den Tisch gehauen und ihre Kandidatur bekanntgegeben.
„Wer nervt mehr als Claudia Roth?“, wird im Zusammenhang mit einer Mitgliederkampagne der Grünen gerade auf ironische Weise auf Werbemitteln gefragt. Damit auch ja keiner auf die Idee kommt, sie in diesem Punkt zu übertreffen, plädiert Roth auch noch gleich für eine Urwahl. Zwar fände sie es schön, wenn das Quartett als Team ins Rennen geht. Das aber halten die Medien- und Wahlkampfexperten bei den Grünen für keine gute Idee. Dann also ein Tandem, befindet die Vorsitzende.
Während Joschka Fischers einstiges Wahl-Solo eine Ausnahme bleiben soll und Roth versichert, dass es so etwas „mit mir als Parteichefin nicht geben“ wird, hält sie die Zugehörigkeit zu einem Parteiflügel für nicht mehr so wichtig. Unabhängig davon, wer bei dem Tandem dann vorn sitzt, Roth hält es für möglich, gemeinsam mit Jürgen Trittin die Grünen in den Wahlkampf zu führen. Was werden die Realpolitiker dazu sagen?
Vielen in der Partei ist das ziemlich egal. „Die Kandidatenfrage wird völlig überschätzt“, meint die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar. Und: „Debatten über mögliche Koalitionen sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt unsinnig.“ Es gäbe Wichtigeres zu tun. Schließlich verlieren die Grünen an Zuspruch. Ihr Höhenflug, der sie in Baden-Württemberg auf 24,2 Prozent hob, ist vorbei. Im Saarland könnten sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern und in Schleswig-Holstein wird auch nur ein eher mageres Ergebnis erwartet. Die sächsische Abgeordnete Lazar konstatiert nüchtern die Rückkehr zu alten Maßstäben. Als ostdeutsche Grüne, „die genug am politischen Überleben der Partei mitgearbeitet hat, ist man gewohnt, sachlich und realistisch zu bleiben“.
So geht es denn auch im Bund für die Grünen wieder lediglich um die Möglichkeit, Juniorpartner in einer Koalition zu werden und nicht um die grüne Kanzlerschaft.
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Quelle: www.swp.de