Schlappe für Schröders Extremismusklausel

Pressebericht, Publikative.org, 25.04.2012

Schwere Schlappe für Familienministerin Kristina Schröder. Das Verwaltungsgericht Dresden hat der Klage gegen die Extremismusklausel 
stattgegeben.


Von Patrick Gensing

Damit gaben die Richter dem Alternativen Kultur- und Bildungszentrums, Akubiz, Pirna recht. Dieses hatte dagegen geklagt, die “Demokratieerklärung” zu unterzeichnen, was aber Voraussetzung für eine Förderung geworden ist. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens ließ das Gericht allerdings eine Berufung beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht zu.

Doch schon jetzt sind die Extremismus-Ritter aus Sachsen und in Berlin bis auf die Knochen blamiert, denn eins ist klar: Die Klausel ist rechtlich mindestens umstritten – dementsprechend sagte Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung, das Urteil stärke die Zivilgesellschaft. Kristina Schröder habe sich – trotz zahlreicher Gutachten, die bereits gezeigt hatten, dass diese Erklärung rechtlich höchst fragwürdig ist – “beratungsresistent” gezeigt, sagte Reinfrank.

Praktisch bedeutet die Einführung der Klausel, dass die Initiativen gezwungen sind, alle Partnerinnen und Partner zu überprüfen. Seien es nun Zeitzeuginnen, Vertreter von Kirchen oder Parteien, Flüchtlinge, Hochschulprofessorinnen oder Medienschaffende. Zur Sicherstellung der „Verfassungstreue“ gäben vor allem die Verfassungsschutz­berichte Auskunft, erklärt das Bundesfamilienministerium.

Sollten dennoch Zweifel an der politischen Ausrichtung der Partner bestehen, wird ein Anruf beim Land oder Bund empfohlen, um ganz sicher zu gehen. „Eine solche Regelanfrage würde zur permanenten gegenseitigen Überprüfung führen und somit die Vertrauensgrundlage für unsere bisher erfolgreiche Demokratiearbeit in Frage stellen“, beschreibt Steffen Richter, Vorsitzender des AKuBiZ, das Problem:

„Dass nun genau diejenigen, die tagein, tagaus für Demokratie und Menschenrechte streiten, die ersten sind, die unter einen Generalverdacht gestellt werden, ist nicht hinnehmbar.“

Der SPD-Innenexperte Thomas Oppermann forderte, Schröder müsse “die Extremismusklausel sofort zurücknehmen. Der ideologische Kampf von Frau Schöder schadet unserer Demokratie. Das Urteil des Verwaltungsgerichts zeigt: Nicht die von Kristina  Schröder gegängelten Bürger haben ein Problem mit unserer Verfassung, sondern die Ministerin selbst. Frau Schröder offenbart ein fragwürdiges Verständnis von Geist und Grundwerten unserer Verfasssung. Die Extremismusklausel ist nicht nur rechtswidrig, sondern diskreditiert und behindert bürgerliches Engagement gegen Rechtsextremismus. Unsere Demokratie lebt vom Engagement der Bürger. Statt Zivilcourage zu stärken, macht Kristina Schroeder mit einer Gesinnungsprüfung vielen Initiativen das Leben schwer. Statt sich an Recht und Gesetz zu halten, stellt Frau Schröder mit der Extremismusklausel mutige Initiativen gegen Rechts unter den Generalverdacht der Verfassungsfeindlichkeit.”

Die Landtagsabgeordnete der Linken, Kerstin Köditz, sprach von einer “schallenden Ohrfeige” für die Bundesministerin Schröder und Sachsens Innenminister Markus Ulbig. “Was der gesunde Menschenverstand schon längst wusste, hat heute erstmals ein Gericht bestätigt”, sagte Köditz. “Ich wünschte mir, dass mehr zivilgesellschaftliche Projekte in Sachsen ähnlich couragiert gehandelt hätten wie das Akubiz.”

Die SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag begrüßte das Urteil und forderte zeitnah politische Konsequenzen. Der jugendpolitische Sprecher Henning Homann erklärte, die Klausel habe bereits “massiven Schaden” angerichtet, weil sie die Vereine unter Generalverdacht stellte.

“Was in Sachsen nicht geht, geht im Bund erst recht nicht”, erklärte Volker Beck von den Grünen. “Schröder muss die Extremismusklausel unverzüglich zurücknehmen. Schröders ideologischer Kampf gegen die Zivilgesellschaft schadet der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung für die aufrechten Initiativen, die in Räumen rechtsextremer Hegemonie die demokratische Fahne hochhalten. Schluss mit unbegründetem Misstrauen! Statt Initiativen grundlos zu verdächtigen, soll sich die Ministerin an Recht und Gesetz halten.”

Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Miro Jennerjahn, demokratiepolitischer Sprecher der sächsischen Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärte: „Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden ist eine deftige Niederlage für Bundesministerin Kristina Schröder. Wir fordern die Ministerin auf, umgehend die so genannte Extremismusklausel ersatzlos zu streichen und sich bei den vielen Menschen, die sich für Demokratie und gegen Neonazis engagieren, zu entschuldigen, die nun anderthalb Jahre lang dem unbegründeten Misstrauen der Bundesministerin ausgesetzt waren. Wir hoffen, dass Frau Schröder nun die Größe hat, das von ihr zerschlagene Porzellan Stück für Stück wieder zu reparieren, auf die zivilgesellschaftlichen Vereine, Initiativen und Projekte zuzugehen und endlich auch eine engagierte Auseinandersetzung mit Neonazismus und menschenfeindlichen Einstellungen zu führen. Auch der sächsische Innenminister Ulbig wäre gut beraten, umgehend auf den Gesinnungs-TÜV zu verzichten. Wir danken AKuBiZ e.V. und allen anderen Mutigen, die sich von den staatlichen Kriminalisierungsversuchen durch Schröder und Ulbig nicht haben einschüchtern lassen, sondern offensiv die inhaltliche Auseinandersetzung für unsere Demokratie geführt haben. Dennoch bleibt die schriftliche Urteilsbegründung des VG Dresden abzuwarten.

In der mündlichen Begründung wurde die Rechtswidrigkeit der so genannten Extremismusklausel insbesondere an der Unbestimmtheit fest gemacht. Die wichtige Frage, ob die Abnötigung eines Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung darstellt, scheint das Gericht nicht behandelt zu haben. Für uns ist weiterhin klar: Eine freiheitliche Demokratie kennt keinen Bekenntniszwang.“

Das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (AKuBiZ), die Amadeu Antonio Stiftung, die Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD) sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAKR) fordern schon länger  die Rücknahme der Extremismusklausel. Schon jetzt, keine zwei Jahre nach der Einführung, zeigen sich die verheerenden Auswirkungen. Vielen Projekten stehen die Bundesfördermittel, in Sachsen auch die Mittel aus dem Landesfördertopf „Weltoffenes Sachsen“, nicht mehr zur Verfügung.

Das Ausweichen auf alternative Fördergelder ist nicht immer möglich. Aber auch unabhängig von finanziellen Einbußen, bekommen die Initiativen die negativen Auswirkungen der Klausel zu spüren. Ehrenamtliche beenden ihr Engagement aufgrund des fehlenden Vertrauens, fühlen sich bespitzelt und in ihrer Arbeit nicht gewürdigt. Nicht zuletzt bündelt die Auseinandersetzung mit der Extremismusklausel die ohnehin knappen Ressourcen in den Projekten: Geld, Zeit und Personal fehlen somit in der eigentlichen Initiativarbeit.

Quelle: www.publikative.org