Seit einem Jahr will der Verfassungsschutz Menschen aus der linken Szene heraushelfen. Per Telefon. Der Bedarf am Aussteigerprogramm ist äußerst gering.
VON SEBASTIAN ERB
BERLIN taz | Viel ist über den Mann nicht bekannt. Er ist zwischen 21 und 24 Jahre alt, kommt aus Bayern, in der linksautonomen Szene war er keine Führungsperson. Er wollte der Szene den Rücken kehren, das schaffte er offenbar nicht allein, deshalb wandte er sich an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Die Behörde nämlich will als Gesprächspartner für Extremisten jeglicher Coleur zur Verfügung stehen. Mit Ratschlägen, Tipps und Tricks.
Das BfV hat Glück, dass es den jungen Bayern nun nennen kann, denn sonst stünde nach einem Jahr „Aussteigerprogramm für Linksextremisten“ als Erfolgsbilanz eine glatte Null. Die Zahlen zum Programm, das im Oktober 2011 gestartet wurde, wurden jetzt in einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfragen der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke bekannt.
Insgesamt hat das BfV demnach im ersten Jahr 33 „Kontaktaufnahmen“ über die Hotline registriert, telefonisch oder per E-Mail. Doch allein in 25 Fällen sei von einer „nicht ernstgemeinten Kontaktaufnahme zum Aussteigerprogramm“ auszugehen. Bleiben acht offenbar ernstgemeinte. Nur drei Ausstiegswillige meldeten sich unter der Hotline, alle Anfang 20. Und einer von ihnen stieg dann aus.
Als linksextrem definiert der Verfassungsschutz Menschen, die „anstelle der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ein sozialistisches bzw. kommunistisches System oder eine herrschaftsfreie anarchistische Gesellschaft etablieren“ möchten.
Unsägliche Extremismusthese
Für Jelpke ist klar: Das Aussteigerprogramm habe allein den Sinn, „die unsägliche Extremismusthese zu stützen“, indem eine Ähnlichkeit zwischen der Nazi- und der linken Szene suggeriert wird. Dabei könnten Anhänger der linken Szene diese doch jederzeit verlassen: „Es gibt bei Linken keinen Grund zur Sorge vor Fememorden, Rachezügen gegen Verräter oder vor ähnlichen Bedrohungen wie bei Nazis.“
Auch von den anderen Oppositionsfraktionen im Bundestag kommt die Forderung, das Aussteigerprogramm abzuschaffen. Linksextremismus stelle „nur noch für die Bundesregierung ein gravierendes Problem dar“, sagte der SPD-Abgeordnete Sönke Rix, der auch im NSU-Untersuchungsaussschuss sitzt, der taz. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) versuche „krampfhaft die Illusion aufrechtzuerhalten, Linksextremismus sei genauso schlimm wie Rechtsextremismus“.
Monika Lazar, Sprecherin der Grünen-Fraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus, spricht von einem „relaitätsfernen Feldzug gegen einen sogenannten Linksextremismus“. Das sei politisch abwegig und sende völlig falsche Signale aus. Auch Lazar warnt vor der indirekten Gleichsetzung von Rechtsextremismus und der linken Szene.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat in jedem Fall angekündigt, am Programm festzuhalten. „Trotz der zahlenmäßig überschaubaren Anzahl von ernsthaften Anrufern bzw. Ausstiegswilligen“ sei es „eine sinnvolle Komponente einer mehrdimensionalen Bekämpfungsstrategie und zur Wiedereingliederung von ausstiegswilligen Linksextremisten in die Mehrheitsgesellschaft“. Wie viel die Bereitstellung der Hotline genau kostet, will das BfV nicht sagen. Da aber keine Mitarbeiter extra für die Betreuung abgestellt werden, dürfte sich der finanzielle Aufwand in Grenzen halten.
Für Kritiker passt das Aussteigerprogramm genau in die Linie der Bundesregierung, sich auf Nebenschauplätzen zu verlieren und nicht den Kampf gegen Rechtsextremismus zu verstärken. Mehrere Oppositionsvertreter forderten am Donnerstag während einer Aktuellen Stunde zum NSU im Bundestag erneut die Abschaffung der umstrittenen Extremismusklausel.
Seit Oktober 2010 müssen sich Inititaven, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, ausdrücklich zum Grundgesetz bekennen, wenn sie staatliche Förderung erhalten möchten. Auch für ihre Mitarbeiter oder Referenten müssen sie sich verbürgen. Das lehnen viele als Gesinnungsschnüffelei ab.