Volles Haus, Emotionen, Zwischenrufe, hitzige Debatten – das erste LVZ-Wahlforum im Vorfeld der Bundestagswahl hatte am Freitagabend alles, was solch eine Veranstaltung braucht. Den Fragen von LVZ-Lokalchef Ulrich Milde und seinem Vize Kai-Uwe Brandt sowie der gut 150 Zuhörer stellten sich Thomas Feist (CDU), Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), Mike Nagler (parteilos, Linkspartei), die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Bündnis 90/Grüne) sowie Cornel Janßen (FDP).
Eine Kuschelveranstaltung wurde es von Beginn an nicht – dafür sorgte schon die erste, durchaus provokante Fragerunde der beiden Moderatoren, die die Kandidaten teils mit eigenen Zitaten konfrontierten. Thomas Feist erklärte, dass er sich auch heute nicht zwischen jenen drei von ihm beschriebenen Tiefensees entscheiden könne. Der CDU-Mann hatte jüngst über seinen SPD-Kontrahenten gesagt, dass der erste Tiefensee „ein geachteter Oberbürgermeister war, auf den die Leipziger stolz waren, der sie aber enttäuschte, als er nach Berlin ging. Der zweite ist heute Minister und in viel zu großen Schuhen unterwegs.“ Und der dritte sei einer, von dem die eigenen Parteifreunde sagten, er sei ein Auslaufmodell. Tiefensee konterte: „Man kann Menschen, auch gerade wenn sie in der Politik sind, grob in zwei Gruppen einteilen: Da gibt es Menschen, die groß werden, indem sie etwas Großes leisten, und Menschen, die versuchen, groß zu werden, indem sie andere kleinmachen.“
Warum er denn nicht in die Linkspartei eintrete, wenn er – wie formuliert – deren Inhalte teile, beantwortete Mike Nagler damit, dass der Kampf gegen die Privatisierung kommunalen Eigentums gezeigt habe, dass „man überparteilich mehr bewirken kann“. Und Monika Lazar, die nach ihrem Einzug in den Bundestag 2005 erklärt hatte, sie wolle sich vor allem darauf konzentrieren, „in kein Fettnäpfchen zu treten“, sagte auf die Frage, wer von den vier Herren ihr denn am angenehmsten sei, amüsiert: „Seltsame Frage. Politisch fallen Feist und Janßen raus.“ Wenn sie sich dann noch zwischen Tiefensee und Nagler entscheiden müsste, würde sie „von den Umgangsformen her sagen, dass ihr Mike Nagler sehr nahe“ sei. Man begegne sich auch öfter mal im Stadtgebiet.
Zum Hauptschlachtfeld der verbalen Auseinandersetzung avancierte das Thema Arbeitsmarkt. „Fehler der Bundesregierung“ will hier FDP-Mann Janßen korrigieren. Und er „habe Bauchschmerzen mit der Unterscheidung nach guten und schlechten Arbeitsplätzen“, wie in der Runde geäußert.
Unter dem Gelächter des Publikums sagte Christdemokrat Feist auf eine entsprechende Moderatoren-Frage: „Ich habe jetzt nur genickt, um zu zeigen, dass ich zugehört habe.“ Er wolle vielmehr hervorheben, „dass – wenn Arbeitgeber und -nehmer sagen, die Arbeitsagentur arbeitet ineffektiv, die Politik was ändern muss“. Janßens Äußerungen trat die Bündnisgrüne Lazar entgegen: „Arbeitsplätze in der Rüstungswirtschaft sind für mich keine guten. Ebenso welche mit Öko- oder Sozialdumping.“ Und Nagler brachte noch einen ganz anderen Aspekt in die Diskussion ein: „Vollbeschäftigung ist nicht hinzubekommen. Vielmehr geht es um die gerechtere Verteilung von Arbeit.“
Zu Anspielungen einiger Konkurrenten auf den so genannten Deutschlandplan von SPD-Chef Frank-Walter Steinmeier, der die Vision von vier Millionen neuen Arbeitsplätzen bis 2020 formulierte, erklärte sein Parteifreund Tiefensee: „Man muss die Latte hoch legen und nicht so, dass man einfach drüber steigen kann.“ Schaue man sich die über eine Million neu entstandener Jobs in den letzten drei Jahren an, zeige dies doch, dass die Vision realistisch sei. Lazar sagte dazu: „Unabhängig davon, dass Steinmeier da gut aus unserem Wahlprogramm abgeschrieben hat, müssen doch nach 20 Jahren alle gemerkt haben, dass Aufbau Ost als Nachbau West nicht funktioniert.“
Sich „gegenseitig mit der Zahl der zu schaffenden Arbeitsplätze zu überbieten“, hielt Linkspartei-Kandidat Nagler für unsinnig. Er plädiere vielmehr für welche im öffentlichen Sektor. Was den Liberalen Janßen auf die Palme brachte: „Ich widerspreche, dass es im öffentlichen Sektor nachhaltige Arbeitsplätze sind.“ Und Tiefensee legte nach: „Das FDP-Programm mit dem freien Spiel des Marktes und das der Linken mit möglichst viel öffentlichem Sektor – beide Extreme sind keine Lösungen.“
Kurz vor Schluss der gut zweistündigen Diskussion noch die Frage nach der eigenen Wahlprognose. „13 Prozent“, erhofft sich Lazar, „elf Prozent“ Janßen. „Über 30 Prozent“ will Nagler erringen („realistisch zu schaffen“), Tiefensee und Feist wollen beide ebenso das Direktmandat erringen, eine Zahl im Vorfeld allerdings nicht herausrücken.
Martin Pelzl