von Ralf Julke
Die Landtagsfraktionen hatten schon mehrfach gestöhnt. Eine Gesetzesvorlage der Staatsregierung um die andere ist schludrig zusammengezimmert, immer wieder wird bewusst gegen aktuelle Rechtssprechung verstoßen. So auch bei der Einführung der sogenannten "Extremismusklausel" nach einer Schnapsidee von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Am 25. April hat das Verwaltungsgericht Dresden festgestellt: Die "Extremismusklausel" ist rechtswidrig.
Geklagt hatten diesmal nicht die Oppositionsparteien im Landtag, sondern der AKuBiZ e.V.. "Was der gesunde Menschenverstand schon längst wusste, hat heute erstmals ein Gericht bestätigt: Es ist rechtswidrig, wenn das Bundesfamilienministerium von beantragenden Vereinen eine Erklärung abfordert, dass sie selbst und ihre Kooperationspartner nicht extremistisch seien. Diese allgemein Extremismusklausel genannte Erklärung hielt das Gericht für nicht hinreichend bestimmt", erklärt Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag nach dem Urteil. "Ich gratuliere dem klagenden Verein AKuBiZ aus Pirna zu diesem Erfolg und seiner Standhaftigkeit. Bekanntlich hatte er die Annahme des sächsischen „Demokratiepreises“ abgelehnt, weil die Staatsregierung von ihm die Unterschrift unter die Extremismusklausel des Freistaates gefordert hatte. Ich wünschte mir, dass mehr zivilgesellschaftliche Projekte in Sachsen ähnlich couragiert gehandelt hätten wie das AKuBiZ."
Und nicht nur die Linke fühlt sich hier mit ihrer Ansicht über die sächsische Extremismus-Mache bestätigt. "Ich begrüße das Urteil ausdrücklich. Demokratisches Engagement braucht keinen Gesinnungs-TÜV", sagt auch Henning Homann, Sprecher für demokratische Kultur und bürgerschaftliches Engagement der SPD-Fraktion. "Bundesfamilienministerin Schröder und Sachsens Innenminister Ulbig müssen umgehend handeln. Der Rechtsstaat kann nicht durch eine rechtswidrige Klausel geschützt werden. Die sogenannte Demokratieklausel hat bereits massiven Schaden unter Sachsens Zivilgesellschaft angerichtet, die sich zu Unrecht unter Generalverdacht gestellt sah. Diese Gesinnungsschnüffelei muss endlich ein Ende haben – auch beim Landesprogramm ‘Weltoffenes Sachsen‘.“
Karl Nolle, Prozessbeobachter für die SPD-Fraktion, dazu: "Innenminister Ulbig muss nun endlich auch für Sachsen die Konsequenzen ziehen. Allein der ideologischen Starrsinnigkeit von Schwarzgelb ist es geschuldet, dass Sachsen als einziges Bundesland eine rechtlich und politisch widersinnige Demokratieerklärung fordert. Die Praxis in Sachsen erinnert an finsterste, vordemokratische Zeiten.“
Der Verein AkuBIZ aus Pirna hatte gegen den Landkreis Sächsische Schweiz Osterzgebirge geklagt. Der Verein hatte beim „Lokalen Aktionsplan“ des Landkreises Fördermittel für ein Projekt zum KZ-Außenlager Flossenbürg beantragt. Ausgereicht werden diese Mittel im Rahmen des Förderprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“, das vom Bundesfamilienministerium verantwortet wird. Dabei verlangt aber Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, dass die Antragsteller eben die sogenannte Demokratieerklärung unterzeichnen. Das lehnte der Verein AkuBIZ ab. Daraufhin wurde ihm die Förderung verweigert. Dagegen wandte er sich mit seiner Klage.
"Dieser Verein hat damit beste Demokratieförderung im Wortsinne betrieben", sagt Kerstion Köditz. "Zivilcourage fängt dort an, wo man auch eigene Nachteile in Kauf nimmt. Dies hat das AKuBiZ getan. Das heutige Urteil ist in meinen Augen nicht nur eine schallende Ohrfeige für die Bundesfamilienministerin, sondern zugleich auch für den sächsischen Innenminister Markus Ulbig. Sie haben sie wohl verdient. Ich kann nur hoffen, dass bei beiden nunmehr ein Umdenken in Sachen Demokratie einsetzt und sie nicht den möglichen Weg der Berufung wählen werden."
Sowohl Schröder als auch Ulbig hätten bisher nach dem Motto gearbeitet, dass des Extremismus verdächtige Gruppen nicht gefördert werden. "Wer Extremist ist, bestimmt der Verfassungsschutz", spottet Köditz. "Dieser leidet unter Verzerrungen auf dem linken Auge und ist auf dem rechten blind. Betrachtet man die Realität mit offenen Augen, dann sieht man, dass die angeblich linksextremistischen Gruppen am besten über die Neonazis informieren und so die Schwächen des angeblichen Verfassungsschutzes immer wieder ausbügeln. Wer die Neonazis wirklich bekämpfen will, sollte also über die Umschichtung von Finanzmitteln nachdenken."
Was natürlich auch bedeutet, dass auch die Bundesfamilienministerin nun wieder in der Kritik steht.
"Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden ist eine deftige Niederlage für CDU-Bundesministerin Kristina Schröder", erklären unisono Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, und Miro Jennerjahn, demokratiepolitischer Sprecher der sächsischen Grünen-Fraktion. "Wir fordern die Ministerin auf, umgehend die sogenannte Extremismusklausel ersatzlos zu streichen. Außerdem erwarten wir, dass sie sich bei den vielen Menschen, die sich für Demokratie und gegen Neonazis engagieren und die anderthalb Jahre lang ihrem unbegründeten Misstrauen ausgesetzt waren, entschuldigt. Wir hoffen, dass Frau Schröder nun die Größe hat, auf die zivilgesellschaftlichen Vereine, Initiativen und Projekte zuzugehen und endlich auch eine engagierte Auseinandersetzung mit Neonazismus und menschenfeindlichen Einstellungen zu führen. Auch der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) wäre gut beraten, umgehend auf den Gesinnungs-TÜV zu verzichten."
Beide danken besonders dem AKuBiZ e.V. und allen anderen Mutigen, die sich von den staatlichen Kriminalisierungsversuchen nicht haben einschüchtern lassen, "sondern offensiv die inhaltliche Auseinandersetzung für unsere Demokratie geführt haben."
Dennoch bleib die schriftliche Urteilsbegründung des VG Dresden abzuwarten. In der mündlichen Begründung wurde die Rechtswidrigkeit der sogenannten Extremismusklausel insbesondere an der Unbestimmtheit festgemacht. Die wichtige Frage, ob die Abnötigung eines Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung darstellt, scheint das Gericht nicht behandelt zu haben. Lazar und Lichdi: "Für uns ist weiterhin klar: Eine freiheitliche Demokratie kennt keinen Bekenntniszwang."
"Das muss ein Weckruf sein, den selbst Bundesministerin Kristina Schröder versteht. Die Demokratieerklärung muss sofort abgeschafft werden", meint auch die Leipziger SPD-Abgeordnete Daniela Kolbe. "Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich bereits seit ihrer Einführung gegen die sogenannte Demokratieerklärung gewandt. Mehrere Gutachten, unter anderem eines der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zweifelten schon damals an, dass eine solche Erklärung verfassungskonform sei."
Darüber hinaus kriminalisiere eine solche Erklärung all jene, die sich gegen Rechtsextremismus und für Demokratie in unserem Land engagieren und stelle sie in eine potentiell „extremistische“ Ecke. Kolbe: "Viele Vereine und Initiativen, sowie die Stadt Jena haben daraus die Konsequenz gezogen keine Mittel mehr aus den Bundesprogrammen gegen Extremismus zu beantragen. Die Politik von Frau Schröder hat dem Kampf gegen Rechtsextremismus schon massiven Schaden zugefügt. Damit muss endlich Schluss sein. Der Verein AKuBiZ aus Pirna hat sich entschieden dagegen zu klagen, dem Verein gebührt Respekt.“
Und was sagt der AKuBiZ e.V. selbst zur Entscheidung? Steffen Richter, Vorsitzender des Vereins: „Bei aller Freude über das Urteil, so ist es traurig, dass wir es überhaupt erstreiten mussten. Die Extremismusklausel ist eine aktive Behinderung der wichtigen Arbeit gegen Rechts vor Ort. Die Auffassung des Gerichts bestätigt, dass Demokratiearbeit nicht mit Misstrauen begegnet werden darf.“
Aber auch andere gesellschaftlich engagierte Vereine sehen sich in ihrer Haltung bestätigt. Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung: „Das Urteil bestätigt unsere Auffassung, dass solche Staatsbekenntnisse und Bespitzelungsaufforderungen nicht rechtskonform sind.“
Und Friedemann Bringt von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAGKR): „Demokratie muss gelebt werden. Frau Schröder ist aufgefordert, diese rechtswidrige Klausel sofort zurückzunehmen. Eine Entschuldigung bei den Initiativen, die sich tagtäglich vor Ort für Demokratie einsetzen, wäre angebracht.“
Und jetzt wird's in Sachsen spannend. Denn Carsten Biesok, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, sieht keinen Grund dafür, jetzt im Freistaat umzudenken: "Das Gericht hat ausdrücklich die vom Bund vorgegebene Fassung der Demokratieerklärung verworfen. Im Unterschied zur Bundesfassung verlangt die im Februar 2011 neu gefasste sächsische Demokratieerklärung von den betroffenen Vereinen nicht, bei deren Partnern die Verfassungstreue zu überprüfen. Sollte die Urteilsbegründung des Dresdner Verwaltungsgerichts auch die sächsische Demokratieerklärung in Frage stellen, werden wir eine Neubewertung der gesamten Extremismusklausel vornehmen."
Quelle: www.l-iz.de