Überall floriert die Frauenquote. Doch ausgerechnet bei den Grünen wird diese für die Wahl 2013 infrage gestellt – zum Ärger der Frauenpolitikerinnen
von Friederike von Tiesenhausen, Berlin
Auf dem Papier ist die grüne Partei ein Biotop der Gleichberechtigung: Frauen haben nicht nur Anspruch auf die Hälfte aller Spitzenämter, sondern können satzungsgemäß beliebige Entscheidungen auf Parteitagen per Veto aufhalten. Dazu genügt es, wenn die Mehrheit der anwesenden Damen im sogenannten Frauenvotum Einwände hat. Man könnte also meinen, bei den Grünen gehe es Frauen fast noch besser als den schon sprichwörtlichen Wanderkröten. Doch hinter den Kulissen rumort es.
Jüngster Anlass ist der Vorschlag ausgerechnet aus dem Realo-Lager, den mittlerweile dominanten Jürgen Trittin zum alleinigen Spitzenkandidaten bei der anstehenden Bundestagswahl zu machen. Im Gespräch ist auch eine Doppelspitze aus Trittin vom linken Flügel und Realo-Parteichef Cem Özdemir. Diese Konstellation gibt es neuerdings de facto, nachdem sich bei den Realos die Machtverteilung geändert hat: Für viele ist mittlerweile Özdemir dort die Nummer eins im Bund und nicht mehr Fraktionschefin Renate Künast. Seit ihrem fehlgeschlagenen Anlauf, Bürgermeisterin in Berlin zu werden, hagelt es Kritik.
Künasts Niedergang reißt aber das sorgsam konstruierte Quotengebilde der Grünen ein. Die frühere Verbraucherschutzministerin füllte jahrelang die Rolle der taffen Karrierefrau, die auch ohne Quotenbonus die Flügelführung der Realos beanspruchen konnte. Doch damit ist es vorbei. Derzeit sehen sie viele - ob fair oder nicht - eher als Ballast denn als Zugpferd.
Wer „grüner Obermops“ 2013 wird, soll zwar erst auf dem Parteitag Mitte November entschieden werden. Parteiintern wird aber bereits inbrünstig über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Kandidatenkonstellationen diskutiert: Eine Ein-Mann-(Frau)-Show ist dabei ebenso denkbar wie ein Tandem oder Viererteam. Vor allem Frauen warnen aber vor einer Personalisierung wie zu Zeiten Joschka Fischers, für den die Grünen von der Satzung abwichen und ihn allein zum Zugpferd kürten.
„Ich gehe nicht davon aus, dass wir mit einem männlichen Spitzenkandidaten oder einem rein männlichen Duo ins Rennen gehen“, sagt Astrid Rothe-Beinlich, frauenpolitische Sprecherin im Bundesvorstand. Das schließt auch die Grüne Jugend aus: „Die Quote an sich ist eine sehr viel wichtigere Botschaft als irgendwelche thematischen Signale“, so Jugendsprecherin Sina Doughan. Und Monika Lazar, Frauensprecherin der Bundestagsfraktion: „Es kann ja nicht sein, dass die anderen Parteien jetzt ihre Quoten verschärfen, und wir verabschieden uns still und leise davon.“
Denn auch sonst steht es um die Frauen bei den Grünen nicht allzu rosig: In den Ländern ist vielfach schon die Geschlechterdoppelspitze gefallen – zwar nicht gegen den Willen der Frauen, aber auch mangels profilierter Kandidatinnen. Im aktuellen Wahlkampf in Schleswig-Holstein konzentriert sich alles auf Spitzenmann Robert Habeck. Und auch Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann hatte im Wahlkampf keine Partnerin zur Seite.
Selbst bei den einfachen Mitgliedern ist das Bild nicht zu rosig: Die Frauenquote hat von der Beitrittswelle der letzten Jahre wenig gespürt, sie dümpelt bei rund 35 Prozent. Da stehen die Linken besser da, und auch die SPD holt auf. Am morgigen Weltfrauentag startet die Grünen-Spitze eigens einen neuen Werbefeldzug um weibliche Mitglieder.
Es erscheint daher wahrscheinlich, dass zumindest der weibliche Teil der Basis auf dem Wahlparteitag ein Veto einlegen würde, wenn die Grünen nicht mindestens eine Frau gegen Angela Merkel ins Rennen schicken würden. Künast und selbst Dauerparteichefin Claudia Roth können demnach weiter hoffen. Doch auch einige starke Frauen sehen den Quotenzwang mittlerweile gelassen: „Die Quote ist unverzichtbar für die Erstchance, damit Frauen zeigen können, was sie drauf haben“, sagt etwa Sachsen-Fraktionschefin Antje Hermenau: „Für die ganz hohen Weihen ist sie nicht unbedingt das beste Auswahlkriterium.“
„Für ganz hohe Weihen ist die Quote nicht unbedingt das beste Auswahlkriterium“ ANTJE HERMENAU, Grünen-Fraktionschefin in Sachsen
Quelle: Financial Times Deutschland