Das Prostitutionsgesetz
Diskussion um Änderungen des Prostitutionsgesetzes / Leipziger Forscherin:
Viele unionsgeführte Länder haben Richtlinien nicht umgesetzt
Berlin/Leipzig. Marianna P. war 21 Jahre alt und arbeitslos, als sie im Frühjahr 2011 zum ersten Mal nach Berlin kam, um in einem Wohnungsbordell nahe dem Neuköllner Hermannplatz als Prostituierte zu arbeiten. Ihr damals 18 Monate alter Sohn blieb bei seiner Großmutter, die wie ihre Tochter in der rumänischen Kleinstadt Targoviste nordwestlich von Bukarest lebt. Mariannas Mutter dachte vermutlich, ihre Tochter würde in Deutschland als Kellnerin oder Pflegerin arbeiten.
Dass sie sich prostituiert, jede Nacht für 40 Euro schnellen Sex anbietet, mit anderen Frauen in einer Wohnung eingepfercht lebt - davon erzählt die junge Rumänin in ihrer Heimat nichts.
Beispiele wie das von Marianna P. aus der Walachei werden von Kriminalexperten und Sozialarbeitern angeführt, um zu belegen, dass das rot-grüne Prostitutionsgesetz von 2002 viele Erwartungen nicht erfüllt hat. So wie die 21-jährige Rumänin stammen in deutschen Großstädten mittlerweile viele der Prostituierten aus dem Ausland - im Westen allerdings mehr als in Ostdeutschland. Die meisten von ihnen sollen aus den EU-Staaten Rumänien, Bulgarien und Ungarn kommen. "Das sind aber Vermutungen", sagt Kathrin Darlatt, die gleichstellungspolitische Referentin der Stadt Leipzig, "belegbar ist das nicht." Wieviele Frauen sich derzeit allein in Leipzig prostituieren, darüber kann Kathrin Darlatt ebenso keine Angaben machen: "Es schwirrt immer mal die Zahl 500 durch den Raum. Aber es gibt keine konkrete Erhebung, die diese Schätzung bestätigen könnte." Denn: Die Wenigsten lassen sich registrieren, sondern werden für ganze eine oder zwei Wochen in eine Stadt gebracht, um sich dort in einer Wohnung anzubieten - Insidern sind die jeweiligen Adressen bekannt. Straßenprostitution, wo oft auch Minderjährige anschaffen, gibt es in Sachsen so gut wie nicht mehr.
Eine Expertenanhörung der CDU/CSU-Fraktion sollte jetzt im Bundestag klären, welcher Veränderungsbedarf für das vor zehn Jahren in Kraft getretene Prostitutionsgesetz besteht. Denn, so die Ansicht in der Union: Für die meisten der Prostituierten hat sich durch das rot-grüne Gesetz nichts verbessert. Im Gegenteil: "Die Rechtsposition von Zuhältern und Bordellbetreibern wurde gestärkt", bestätigt bei der Bundestags-Anhörung der Augsburger Oberstaatsanwalt Rainer Nemetz. Armutsprostituierte aus Osteuropa und anderen Regionen der Welt könnten oft noch hemmungsloser ausgebeutet werden als vor Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 2002, meint Nemetz.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), fordert deshalb nach der Anhörung eine Verschärfung der Rechtslage. So müsse es einen ordnungsrechtlichen Rahmen für Bordelle und eine Anzeigepflicht für Prostituierte geben; nur so könnten Minderjährige und Osteuropäerinnen "wirksam vor sexueller Ausbeutung geschützt werden". Uhl greift zugleich die damaligen Gesetzgeber scharf an: "Das unter Rot-Grün verabschiedete Gesetz hat der Kriminalität im Rotlicht-Milieu Vorschub geleistet", schimpft der Innenexperte.
Dieses Ziel teilt auch Rebecca Pates, Politikprofessorin an der Universität Leipzig, die seit Jahren zum Thema Prostitution und Menschenhandel forscht - dabei allerdings zu anderen Ergebnissen als der Unionspolitiker Uhl kommt. "Das Prostitutionsgesetz hat nur geringe Auswirkungen auf die Praxis gehabt, auch weil unionsgeführte Bundesländer keine Umsetzungsrichtlinien für das Gesetz veranlasst haben: Viele Landesregierungen sehen Sexarbeit weiterhin als sittenwidrig an." Da die Umsetzung des Gesetzes Ländersache ist, bedeute eine solche Verweigerung: Das Gesetz wird schlichtweg nicht umgesetzt. "Sexarbeiterinnen können also weiterhin nicht als solche ein Gewerbe anmelden - vielleicht wollen das viele aber auch nicht", macht Rebecca Pates klar. Monika Lazar, Grünen-Bundestagsabgeordnete aus Leipzig, kündigt an: "Wir werden dafür kämpfen, dass Beratungs- und Ausstiegsangebote qualitativ und quantitativ ausgebaut werden. Repressionen und Kriminalisierung von Prostituierten lehnen wir dagegen ab."
Fest steht, bei aller Gegensätzlichkeit der Meinungen: Wie Marianna P. werden viele junge Frauen aus Osteuropa von ihren Brüdern, Cousins und manchmal auch von ihren Vätern zur Prostitution nach Deutschland gebracht. "Sie fungieren hier als Geldautomaten für ihre Familien", sagt Sabine Constabel vom Sozialdienst für Prostituierte in Stuttgart bei der Unions-Anhörung im Bundestag. Und: "Frauen sind keine Ware." Selbst wenn ihnen nur ein minimaler Anteil ihrer Einnahmen bleibt, ist das Geschäft mit dem Sex für viele arbeitslose Frauen und ihre Familien auf dem Balkan attraktiv - wie auch für deutsche Männer.
Quelle: www.lvz.de