Zwischen dem 24. und 30. April 2014 hatte Monika Lazar, stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss und Obfrau im Sportausschuss, Gelegenheit, sich ein persönliches Bild von den Vorbereitungen der Fußball-WM 2014 in Brasilien zu machen. Hier ihr Bericht:
Direkt vor unserer Abreise kam es zu schweren Ausschreitungen in Rio de Janeiro, bei denen ein Mensch starb. Auch wenn die Delegation persönlich keine Anzeichen von Ausschreitungen mitbekommen hatte, war noch einmal bewusster geworden, mit welcher Form von Problemen Brasilien in diesen Monaten zu kämpfen hat. Und dies vor und ein Stück weit wegen einer Fußball-WM. Neben Rio stand die Hauptstadt Brasilia auf dem Plan der Delegation, wo es unter anderem Treffen mit RegierungsvertreterInnen ab.
Bei der Reise des Innenausschusses standen in erster Linie die Sicherheitsaspekte im Fokus. Brasilien investiert einen nicht geringen Anteil seiner WM-Gelder in die Sicherheitsarchitektur, wie etwa Überwachungstechnik. Dabei wurde deutlich: es gibt mindestens zwei Welten in Brasilien.
Brisante Mischung: Modernste Überwachungstechnologie und Mängel in der Sozial- und Bildungspolitik
Zum Einen ist da die Welt der technologischen und personellen „Hochrüstung“. Nicht ohne Stolz präsentierten uns die verschiedenen brasilianischen Behörden ihre Möglichkeiten der umfassenden Überwachung insbesondere in den Metropolen Brasiliens. Hochauflösende Kameras können nahezu jeden Bereich in den Innenstädten auf eine riesige Leinwand im jeweiligen Sicherheitszentrum werfen und heranzoomen. Was aus deutscher Datenschutzsicht ein Graus ist, bildet für die brasilianische Polizei das Herzstück einer Strategie der Totalüberwachung, die die Lehre aus den Protesten des Confederations-Cups 2013 und den Ausschreitungen der letzten Monate sein soll. Sensibilität im Umgang mit Demonstrierenden und deeskalierende Maßnahmen stehen hier nicht gerade an erster Stelle. Die Notwendigkeit auf der Straße direkt mit den Menschen zu sprechen wird aber bestehen, wenn die WM einmal läuft und Millionen von Touristen ins Land strömen. Zumal weitere Auseinandersetzungen im Verlauf der WM nicht auszuschließen sind. Umso wichtiger sind Schulungen der meist noch unerfahrenen Polizeibeamten. Es hat im Vorfeld eine Reihe von internationalen Sicherheitsgesprächen gegeben. Auch von Seiten der deutschen Polizei gab es einen regelmäßigen Austausch. Für die WM mögen die Maßnahmen zumindest gereicht haben, um eine hoffentlich sichere Reise nach Brasilien für die Fußball-Touristen während der WM zu gewährleisten. Inwieweit die Überwachungstechnologie für die Zeit nach der WM sinnvoll eingesetzt werden kann, ist fraglich, denn die Finanzierung der Sicherheitsorgane ist nicht gesichert.
Die Welt der einfachen BürgerInnen, welche vom Einzelhandel oder anderen Dienstleistungen leben, plagt ganz andere Sorgen. Die Begeisterung für die Fußball-WM im eigenen Land ist in den letzten sieben Jahren seit der Vergabe allmählich ins krasse Gegenteil umgeschlagen. Hauptsächlich richten sich die Proteste dabei gegen den himmelweiten Unterschied zwischen den Mängeln in der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik, dem überlasteten Nahverkehr und den Konzessionen, die die Regierung gegenüber dem Fußballweltverband Fifa zu machen bereit war. Für den Einzelhandel auf der Straße und für die unteren Bevölkerungsschichten insgesamt bedeutet diese WM kein Fest, sondern eine weitere Verschlechterung der eigenen Lage – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Die eigenen Waren dürfen zumeist in einem Umkreis von 2 km rund ums Stadion nicht verkauft werden. Tickets kann sich der Normalbürger nicht leisten. Zudem wird der jeweilige Tag, an dem ein WM-Spiel ausgetragen wird, am Spielort zum Feiertag erklärt. Eine klassische Konjunkturbremse – und dies, obwohl eine WM immer als Wirtschaftsmotor verkauft wird. Immerhin war die Fifa so gnädig, 10 Prozent des Kartenkontingents verbilligt sozial benachteiligten Gruppen vorzubehalten. Das allerdings erst auf massiven Druck der brasilianischen Bevölkerung.
Auch mit den BewohnerInnen der Favelas ging die brasilianische Regierung im Vorfeld der WM äußerst rabiat zu Werke. Die hunderttausenden Menschen, die zwangsenteignet und umgesiedelt wurden, um Platz für die scheinbar notwendige Infrastruktur zu schaffen, machen von ihrem Recht auf Schadensersatz oftmals keinen Gebrauch, wie uns der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro mitteilte. Das liege auch an einer Politik der Einschüchterung gegenüber den Favela-BewohnerInnen. Wie diese funktioniert, wurde uns bei einem Rundgang durch die Favela „Santa Marta“ bewusst, die als Musterbeispiel einer befriedeten Favela gilt. Zwar gibt es eine auch oft sozialarbeiterisch ausgerichtete Polizei, die UPP. Diese greife nach eigenen Angaben aber erst ins Geschehen ein, nachdem die Lage für die Polizisten sicher genug sein. Dafür ist in Brasilien das Spezialeinsatzkommando der Policía Militar, der BOPE, zuständig. Deren Wappen besteht aus einem Totenschädel, durch den ein Dolch und zwei Pistolen gestochen wurden. Auf meine Frage, was das Logo bedeutet, wurde mir von derBOPE erklärt: der Schädel steht für die Weisheit und die Dolche für Diskretion. Allerdings ist selbst die UPP bei den BewohnerInnen nicht beliebt, weil sie unter anderem wegen geringer Entlohnung häufig in Korruption und Drogenhandel in der Favela verstrickt und damit auch nicht glaubwürdig ist.
Auch vom Zustand der Stadien haben wir uns einen Eindruck machen können. Das legendäre Maracana in Rio de Janeiro, das mittlerweile so oft umgebaut wurde, dass es mit der Legende selbst nicht mehr viel gemein hat, war dabei noch im besten Zustand Das Stadion in Brasilia war zwar grundsätzlich fertig, aber es wirkte nicht gerade so, dass mit dem hohen Tempo auch die Nachhaltigkeit der Arenen eine Rolle gespielt hätte. Vom Stadion in Sao Paulo, das ich leider nicht persönlich sehen konnte, existierten zum Zeitpunkt der Reise nicht einmal alle Zuschauertribünen. Viele der Stadien, die nach der WM nicht adäquat genutzt werden können, weil die hochklassig spielenden Fußballteams fehlen, werden die Kommunen sicher schnell bei der Unterhaltung überlasten, weil die Gelder dafür in den öffentlichen Kassen nicht vorhanden sind und woanders dringender gebraucht werden. Nachhaltig ist das alles nicht, sondern eine sinnlose Geldverschwendung für ein kurzfristiges Ereignis.
Der sportpolitische Auftrag der Reise war klar: Sportgroßveranstaltungen müssen Kriterien erhalten, die eine Austragung zum Vorteil nicht nur für Sport und Sponsoren, sondern auch für die örtliche Bevölkerung möglich machen. Brasilien hätte eine bessere WM verdient und übrigens auch nachhaltige Olympische Spiele in Rio de Janeiro im Jahre 2016.