Umgang mit rechtsextremer Hetze gegen MigrantInnen angesichts steigender Flüchtlingszahlen

Protokoll

Bund-Länder-Europa Treffen gegen Rechtsextremismus am 5. Mai 2014

Das Bund-Länder-Europa-Treffen fand am 5. Mai von 12.00 bis 16.00 Uhr im Deutschen Bundestag statt [Einladung lesen].

Niemand verlässt gern seine Heimat, um sich hunderte oder tausende Kilometer weit weg eine neue Bleibe zu suchen. Flüchtlinge kommen meist aus Kriegs- und Katastrophengebieten oder existenzieller sozialer Not zu uns nach Deutschland. Nicht selten traumatisiert, in jedem Fall zutiefst verunsichert, treffen sie ein und sehen sich leider allzu oft rassistischen und diskriminierenden Verhaltensweisen bis hin zu konkreten Gefährdungen ausgesetzt. Rechte Übergriffe gegen Flüchtlingsunterkünfte oder Beleidigungen und tätliche Gewalt auf offener Straße bestimmen vielerorts das gesellschaftliche Klima. Täglich durchschnittlich zwei Fälle rechter Gewalt in den neuen Bundesländern hat die Opferberatung der RAA Sachsen e.V. erfasst, wie Referent Robert Kusche, Geschäftsführer der RAA, ausführt [Zum Vortrag]. Daneben ist von einer sehr großen Dunkelziffer auszugehen. Denn viele Opfer wagen keine Anzeige aus Angst vor den Tätern, aber auch vor institutionellem Rassismus. Nicht wenige ziehen sich nach Gewalterfahrungen völlig zurück und meiden auch den Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Opferberatungen.

In der Umgebung von Flüchtlingsunterkünften ist die Gefahr rassistischer Ausschreitungen besonders hoch. Rechtsextreme Kader zetteln gerade dort immer wieder Aktionen an, bei denen gehetzt und aufgestachelt wird.

Flüchtlingsorganisationen fordern daher ein verbessertes Sicherheitskonzept für Flüchtlinge, insbesondere im Umfeld von Sammelunterkünften. Bündnis 90/Die Grünen setzen sich seit Jahren für eine dezentrale Unterbringung Asylsuchender ein. Doch viele Kommunen weigern sich, überhaupt Menschen aufzunehmen oder bieten nur ungeeignete Sammelunterkünfte mit einer inakzeptabel miserablen Ausstattung oder in einsamen Gegenden (Stadtrand, Gewerbegebiet) an. Das Problem verschärft sich angesichts steigender Flüchtlingszahlen. Die Referentin Martina Mauer vom Flüchtlingsrat Berlin e.V. führte den Teilnehmenden eindrücklich vor Augen, wie groß – und leider oft berechtigt – die Angst von Flüchtlingen vor Übergriffen ist. So lange nicht allen Asylsuchenden Wohnungen in normalen Stadtgebieten angeboten werden, braucht es geeignete Sicherheitsmaßnahmen, damit sie nicht länger Hetze und Gewalt fürchten müssen. Diese Notwendigkeit ist auch in Berlin gegeben, wo in 38 Sammelunterkünften fast 9.000 Menschen leben und die NPD dies gezielt für ihre Wortergreifungsstrategien nutzt. Andererseits gibt es engagierte demokratische Personen und Initiativen, so dass z.B. das rassistische „Nein zum Heim“ schließlich übertönt wurde von einem weltoffenen „Hellersdorf hilft“.

Brisante war die Lage auch im sächsischen Erzgebirge. Die Referentin Angela Klier, beschäftigt beim Förderverein Jugend- Kultur- und Sozialzentrum Aue e.V., berichtete aus eigenem Erleben, wie die ortsansässige neonazistische Szene vorhandene Befürchtungen in der Bevölkerung wegen der Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft massiv für ihre rassistische Propaganda missbraucht hat [zum Vortrag]. Erleichtert wurde dies dadurch, dass die ansässige Bevölkerung fast keine persönlichen Erfahrungen mit Zugewanderten besitzt. Den rund 363.700 Einwohnern stehen nur 3.140 ausländische Einwohner gegenüber. Zudem wurden sie im Vorfeld nicht über die neue Sammelunterkunft informiert. Daraufhin konnte die rechte Bürgerinitiative „Schneeberg wehrt sich“ zunächst punkten, bis sich unter dem Motto „Schneeberg bleibt bunt“ demokratischer Widerstand formierte, der auch von anwesenden politischen Größen wie dem sächsischen Innenminister Ulbig unterstützt wurde. Dennoch bleibt viel zu tun, denn vor dem Eklat in Schneeberg und Umgebung stand das Thema Asyl nicht auf der politischen Tagesordnung. Entsprechend aktionistisch waren dann viele Reaktionen. Dringend nötig seien aber vor allem langfristige und gemeinsame Strategien, so Klier. Auch müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden, die Aufnahme und soziale Betreuung von Flüchtlingen könne nicht fortlaufend im Ehrenamt getragen werden. Integrations- und Ausländerbeauftragte in Landkreisen und Kommunen müssten hauptamtlich beschäftigt sein. Und eine Willkommenskultur könne erst entstehen, wenn sie von einem Großteil der Bevölkerung bejaht werde. Flächendeckende Beratungsstellen und präventive politische Jugendbildung gehören zu den Aufgaben, für die Politik Verantwortung übernehmen muss.

Doch vielerorts fehlt nicht nur die finanzielle Ausstattung, sondern auch die notwendige politische Sensibilisierung und Klarheit. Dass diese aber dringend nötig sei, hatte Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, bereits in ihrem Eingangsstatement deutlich gemacht. Sie prangerte nicht nur einschlägige Kräfte wie die rechtsextreme NPD, die rechtspopulistische AfD oder die Pro-Bewegungen an, sondern kritisierte auch die etablierten demokratischen Parteien. So würden sich beispielsweise manche CSU-Parolen nicht von denen der Nazis unterscheiden. Vielfach würden überzogene Angstszenarien aufgebaut. In Wahrheit seien die Flüchtlingszahlen in Deutschland  in Relation zur Bevölkerung keineswegs hoch, wenn man etwa Länder wie den Libanon betrachte, wo die Zahl der Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien einem Viertel der Gesamtbevölkerung entspricht. Von „Überfremdung“ oder einem nicht belegbaren „Sozialmissbrauch“ könne und dürfe keine Rede sein. Zu bemängeln sei auch, dass selbst in der Gesetzgebung Rassismus und Diskriminierung gegenüber Flüchtlingen, z.B. hinsichtlich der Unterbringung, vorhanden sei. Eine ermutigende Entwicklung habe es aber in der Zivilgesellschaft gegeben, dort sei die Vernetzung zwischen den Initiativen gewachsen.

Alle Erfahrungsberichte zeigten: Menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik und Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus lassen sich nicht trennen und müssen politisch zusammen bearbeitet werden, wie Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der grünen Bundestagsfraktion, betont.
Dass dabei ein parteienübergreifender demokratischer Konsens wünschenswert wäre, wurde unter den Anwesenden allgemein bejaht. Über die Erfolgsaussichten eines solchen Vorhabens gingen die Meinungen aber auseinander. Häufig wären die nötigen Kompromisse zu groß gewesen. Denn es gibt Positionen, die für Bündnis 90/Die Grünen nicht verhandelbar sind. Dazu gehören ein ganz klares Ja zur Solidarität mit Flüchtlingen und eine uneingeschränkte Willkommenshaltung. Auch die menschenwürdige Unterbringung in Wohngebieten kann nicht zur Debatte gestellt werden. Wo die demokratische Politik dazu eine eindeutige Haltung vermissen lässt, stärkt sie rechte Kräfte.
Gemeinsam mit Flüchtlingsorganisationen und anderen Beratungsstrukturen wollen wir mehr Selbstbestimmung („Empowerment“) für Flüchtlinge und eine bessere politische Kommunikation in die Bevölkerung (z.B. Infoveranstaltungen über neue Flüchtlingsunterbringungen). Da viele Opfer aus Angst vor den Tätern keine Anzeigen erstatten, müssen die Möglichkeiten anonymisierter Anzeigen verbessert bzw. bekannter gemacht werden. Unverzichtbar ist auch eine politische Stärkung und dauerhafte Finanzierung zivilgesellschaftlicher Initiativen, damit die demokratische Prävention auf allen Ebenen gefestigt und ausgebaut werden kann.

Weitere Informationen

Empfehlungspapier zur Verstetigung der bundesweiten Demokratieförderung
von BAG für Demokratie und BAG Kirche + Rechtsextremismus

Statistik rechte Gewalt Ostdeutschland und Berlin 2013


Standpunkte der LAG Vielfalt Sachsen Demokratie in Sachsen stärken!