LVZ, Leipziger Volkszeitung, vom 09.03.2009

Geschiedene DDR-Frauen fordern Gleichstellung

Leipzig (ski). Zu DDR-Zeiten geschiedene Frauen haben in Leipzig erneut ihr Recht auf einen Renten-Versorgungsausgleich eingefordert. „Wir sind angetreten für unser Recht auf Gleichstellung und Gleichbehandlung“, heißt es in einer Resolution, die die Landesdelegiertenkonferenz beschlossen hat. Die Rentnerinnen seien oft in einer „würdelosen Lebenssituation“, weil ihnen per Gesetz kein Versorgungsausgleich zwischen ehemaligen Ehepartnern gewährt wird, erklärte Vereinssprecherin Ute Lauterbach.

Unterstützung erhält die Initiative von der Bundestagsopposition. „In der Praxis ist zu sehen, dass viele der Frauen ohne Schuld sehr schlecht gestellt sind“, sagte die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Grüne). Für Barbara Höll (Linke), ebenfalls Bundestagsabgeordnete, sind „die Ansprüche berechtigt, weil die spezifische Situation dieser Frauen bisher nicht berücksichtigt wurde“.
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„Man hat begonnen, uns zu hören“

Protestaktion von in der DDR geschiedenen Frauen in Leipzig / Unterstützung für Ost-Versorgungsausgleich wächst

Leipzig. Ute Lauterbach hat Tränen in den Augen. Tränen der Freude. Etwa hundert Teilnehmerinnen hatte die Sprecherin des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen zur zweiten Protestaktion gestern in Leipzig erwartet – gekommen sind doppelt so viele. Die Aula der Volkshochschule ist schon vor Beginn der Landesdelegiertenkonferenz überfüllt. Doch die Rentnerinnen schleppen immer mehr Stühle aus den umliegenden Seminarräumen in den Saal. Als drinnen beim besten Willen nichts mehr geht, wird die Veranstaltung kurzerhand bis auf den Schulflur ausgedehnt.

Ute Lauterbach hat da bereits ihr Sprache wiedergefunden: „Uns braucht niemand mehr damit zu kommen, dass kein Geld für unseren Versorgungsausgleich da ist. Wir wollen nur eine gerechte Lösung. Und bis es endlich soweit ist, machen wir immer lauter Stimmung“, ruft die 68-jährige Randberlinerin ins Auditorium. Ihr nächster Satz geht im Beifall unter. Die betagten Frauen entwickeln eine Energie, die ihnen wohl kaum jemand zugetraut hätte. Sie werden angetrieben von einer Melange aus Kampfeslust und Trotz.

Die Thüringer Teilnehmerinnen haben zusammengelegt und sogar einen Bus gechartert, um nach Leipzig zu kommen. Christa Lorenz, schlohweiße Vorkämpferin der Initiative aus Gotha, zitiert auf dem Podium aus einer schriftlichen Antwort der Kanzlerin. Angela Merkels Briefschreiber bezieht sich dabei auf auf westdeutsche Regelungen für Hinterbliebene. Die gehen nicht nur am Thema vorbei, sondern sind laut Anrede „Sehr geehrte Frau Kalkhorst“ auch noch falsch adressiert. „Das ist die Wertschätzung, die man uns entgegenbringt“, sagt Christa Lorenz. In einer Resolution, die die Frauen in den nächsten Wochen allen Bundestagsabgeordneten und Ministern zukommen lassen wollen, heißt es dann auch unter anderem: „Die Gründe der jeweiligen Ablehnungen auf unsere Initiativen sind unsachlich, demütigend und zynisch.“

Doch die Rentnerinnen bleiben an diesem Tage zum ersten Mal nicht unter sich. Neben einigen Gleichstellungsbeauftragten und Vertretern von ostdeutschen Sozialbehörden zwängen sich auch die Bundestagsabgeordneten Monika Lazar (Grüne) und Bärbel Höll (Linke) in den Saal und stellen die Konzepte ihrer Parteien für Härtefall-Regelungen vor. In diesen Anträgen tritt, kurz gesagt, der Staat an die Stelle des Ex-Ehemanns. Denn ein rückwirkender Versorgungsausgleich zu Lasten des geschiedenen Partners ist rechtlich nicht möglich. Deshalb haben inzwischen alle drei Oppositionsparteien im Bundestag Anträge eingebracht, um die Rentnerinnen über den staatlichen Umweg zu unterstützen.

Reich würde dadurch zwar keine der Frauen, heißt es in der Resolution, da sich die Summen meist im ganz unteren dreistelligen Bereich – wenn überhaupt – bewegen würden. „Es wäre aber eine Würdigung der Leistungen, die diese Frauen für die Familien erbracht haben“, erklärt Birgit Adamek, die Gleichstellungsbeauftragte von Erfurt. Allein in der Thüringer Landeshauptstadt habe es schon etliche Fälle gegeben, in denen zum Sozialfall gewordene, in der DDR geschiedene Frauen nicht mal ihren Kindern die wahren Gründe für den Umzug in eine kleinere Wohnung gesagt hätten.

„Die Frauen sind stolz, sie wollen nicht klagen. Dabei sind viele von ihnen wirklich arm.“
Laut DDR-Recht gab es nach einer Scheidung in der Regel keine Verpflichtungen zwischen den Gatten. Nach einer gescheiterten Ehe sollten beide Partner, so die Norm, jeweils selbst für ihren Unterhalt aufkommen. Auch Ansprüche auf Rente sollten durch eigene Berufsarbeit aufgebaut werden. Dieses Thema war bei der Überleitung der gesetzlichen Rentenversicherung im Zuge der Wiedervereinigung ausgeklammert worden – obwohl der damalige DDR-Verhandlungsführer Günter Krause es durchaus auf der Agenda hatte, als er in die Gespräche ging.

„Steter Tropfen höhlt den Stein: Nutzen Sie die Zeit bis zur Bundestagswahl, bleiben Sie hartnäckig, mischen Sie sich ein“, ruft Monika Lazar in den Saal zu. Die Rentnerinnen haben ihre Lektion inzwischen gelernt. „Uns schließen sich immer mehr Frauen an. Man hat begonnen, uns zu hören – weil wir nicht mehr zu überhören sind“, sagt Vereinssprecherin Ute Lauterbach. Die nächste Protestaktion ist bereits terminiert. Am 9. Juni, wenn in Leipzig der bundesweite Seniorentag stattfindet, wollen die betagten Frauen wie schon im Oktober zu Hunderten auf die Straße gehen. Andreas Debski



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