Leipziger Volkszeitung, 14. 01. 2008

Wenig Protest, keine Krawalle
340 Neonazis marschieren nahezu ungestört durch Südost / Großaufgebot der Polizei im Einsatz

Knapp zwei Wochen nach den schweren Silvester-Krawallen in Connewitz ließ die Polizei diesmal nichts anbrennen: Die befürchteten Ausschreitungen von Rechtsextremisten und linken Gruppierungen blieben am Sonnabend im Leipziger Südosten aus, die Demos der beiden verfeindeten Lager verliefen ohne ernsthafte Zwischenfälle. „Es lagen vorab konkrete Hinweise vor, dass mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppierungen zu rechnen ist“, sagte Polizeisprecher Mario Luda. „Dies bestätigte sich auch durch die Anreise potenzieller Störer zu beiden Aufzügen.“ Ein massives Polizeiaufgebot konnte jedoch direkte Konfrontationen verhindern. Neben Leipziger Beamten waren auch Bereitschaftspolizei, Einheiten aus Sachsen-Anhalt und Brandenburg, Reiterstaffeln und Wasserwerfer vor Ort.
 
Nachdem eine kurzfristig angemeldete Demo von 380 Linken am frühen Nachmittag ohne Zwischenfälle beendet worden war, riegelte die Polizei entlang der Neonazi-Route konsequent sämtliche Nebenstraßen ab, um Antifa-Stoßtrupps fernzuhalten. Elf Personen wurden zeitweise in Gewahrsam genommen. Diese Taktik ging auf – obwohl Antifa-Strategen vorab detailliert Störmanöver ausgearbeitet hatten. Somit konnten die 340 Neonazis – sie waren nach ausschließlich interner Mobilisierung aus Sachsen, Brandenburg, Thüringen und Bayern angereist – ungehindert durch Anger-Crottendorf, Reudnitz und Stötteritz marschieren. „Das offensive Einsatzkonzept verhinderte die immer wieder angestrebten massiven Ausschreitungen“, sagte Einsatzleiter Ulrich Bornmann. Der frühere Landeskriminalamt-Mann und jetzige Vize-Polizeipräsident ließ jegliche Eskalation im Keim ersticken. Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) konstatierte hernach erleichtert: „Die Polizei hatte die Lage stets im Griff.“ Bis in die Nacht hielten sich im Stadtgebiet mehrere Hundertschaften auf, um befürchtete Krawalle zu unterbinden.
 
Allerdings waren am Sonnabend auch weitaus weniger Neonazi-Gegner unterwegs als etwa bei Worch-Aufzügen in den vergangenen Jahren. Protestierten da noch mehrere tausend Leute, unter ihnen etliche Gewaltbereite, waren es diesmal allenfalls wenige hundert Verstreute. „Die Bürger haben sich heute nicht mit Ruhm bekleckert“, kritisierte Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Grüne) den vergleichsweise geringen Widerstand gegen die Rechtsextremen-Demo. „Es war ein schwarzer Tag für Leipzig.“
 
Lediglich an der Holsteinstraße, wo die Rechtsradikalen eine Zwischenkundgebung abhielten, regte sich Protest der überwiegend studentischen Bewohner. Denn sie empfanden den Aufzug der so genannten Freien Kräfte als besondere Provokation, nachdem Ende November ihr Haus von mutmaßlichen Neonazis angegriffen worden war. Mit lauter Zirkusmusik konnten sie die Kundgebung zunächst sabotieren, ehe die Polizei die Stromversorgung unterbrach. Die Studenten reagierten darauf mit lautem Topfschlagen – und gestern mit einem Beschwerdebrief an Rathaus und Polizeidirektion. „Das Ordnungsamt hat Zusagen uns gegenüber nicht eingehalten, die Kundgebung an einen anderen Ort zu verschieben“, so die Hausbewohner. „Außerdem hat die Polizei bei ihren Einsätzen im Haus vermutlich mehrfach gegen geltendes Recht verstoßen.“
 
Dieses Einschreiten kritisierte auch Wolfram Leuze (Grüne), der von der „bisher widerwärtigsten Demonstration von Rechtsradikalen in Leipzig“ sprach. Für ihn war der Umzug „verfassungsfeindlich“, dessen polizeiliche Absicherung „ein Pyrrhussieg für Recht und Ordnung“.
 
Frank Döring, © Standpunkt

 

Erschienen: LVZ, 14. 01. 2008


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