Leipziger Volkszeitung vom 04.10.2008

Nur ein Traum: Friede bei Lok gegen Chemie

„Fußball-Fanszene außer Kontrolle?“ – lebhafte Diskussionsrunde, illustre Besetzung, nicht ganz neue Quintessenz

Leipzig. Heißes Thema, illustres Podium, lebhaftes Auditorium: 90 knackige Minuten wurde im Geisteswissenschaftlichen Zentrum der Universität das Thema „Fußball-Fanszene außer Kontrolle?“ beackert. Die Spieler mit den meisten Ballkontakten: Die Grünen Monika Lazar und Winfried Hermann, Lok-Chef Steffen Kubald, Torsten Rudolph vom Fanprojekt Dresden, Bastian Pauly (antirassistische Faninitiative „Bunte Kurve“) und Sachsens Fan-Koordinator Udo Ueberschär.

Zu bewundern waren auf Ladung der Bündnisgrünen-Bundestagsfraktion: Steilpässe, verbale Grätschen und mögliche Laufwege ins Glück. Vermisst wurde: Landespolizeipräsident Bernd Merbitz, der kurz vor knapp absagte. Vermisst wurde außerdem: Ein präsidiales Leutzscher Gegengewicht zum Sportkameraden Kubald.
Die nicht unbedingt neuen, aber immer wieder gerne postulierten Erkenntnisse des von Per Vorderwülbecke moderierten Abends lauten,

erstens: Ja, Fanprojekte sind unerlässlich, müssen allerdings besser unterstützt werden – materiell und ideell.

Zweitens: Zentrale Aufgabe der im Fußball aktiven Sozialarbeiter und/oder Streetworker ist es, junge Menschen für die Magie des Sport zu begeistern, sie gar nicht erst in die Fänge gefährlicher Kräfte kommen zu lassen.

Drittens: Eltern und Schulen müssen im Rahmen einer Art Frühwarnsystem sensibilisiert werden für eventuelle Irrwege der Kids. Viertens: Weil an kriminelle und ideologisch verbrämte Subjekte erfahrungsgemäß kein Rankommen ist, müssen Richter und Staatsanwälte zumindest für Abschreckung sorgen.

Einhellige Podiumsmeinung: Es kann und darf nicht sein, dass überführte Gewalttäter mit einem Aufsatz über ihre Verfehlungen davon kommen. „Mit manchen Leuten kann man einfach nicht reden. Die wollen sich schlagen, Randale machen. Als Verein stößt man da an Grenzen“, sagte Lok-Chef Kubald, der Wert auf die Feststellung legte, dass sein Klub nach den bitterbösen Ausschreitungen vom 10. Februar 2007 aus den Negativ-Schlagzeilen ist.

Sachsens Fan-Koordinator Udo Ueberschär sieht eine zunehmende Politisierung in der Fanszene. „Da wird der Verein vom linken und rechten Spektrum als Bühne benutzt. Dagegen müssen sich die Vereine stärker wehren.“

Jan Meurer, Macher bei der unlängst wiederbelebten BSG Chemie, sieht in der „Ignoranz“ von Klub-Entscheidern viel Frustpotential. So habe der Vorstand des FC Sachsen 4000 Unterschriften von Fans, die für Stehplätze im Zentralstadion warben, in den Mülleimer geschmissen. Auch dieser Akt hat dazu geführt, dass Fangruppierungen fahnenflüchtig wurden und in die Arme der neuen BSG Chemie rannten.

Am Ende des Abends hatte ein Student aus dem Auditorium diese Vision: Lok spielt eines Tages gegen Chemie. Um den Aufstieg in die 2. Liga. Und alles bleibt ruhig und freundschaftlich. Ist leider Gottes nicht sonderlich lebensnah. Man könnte auch sagen: völlig weltfremd.

Guido Schäfer

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