ARD/ tagesschau.de am 05.01.2007
"Wir schaffen das einfach nicht!"
Die Zahl der rechtsextremen Straftaten in Deutschland hat 2006 offenbar einen neuen Höchststand erreicht. Als Reaktion fordern SPD, Linksfraktion und Grüne parteiübergreifende Strategien. In Sachsen kommt die Justiz unterdessen kaum noch gegen das neonazistische Treiben an.
Von Patrick Gensing, tagesschau.de
Trauriger Rekord bei rechtsextremen Straftaten
Deutschland steuert bei der rechtsextremen Kriminalität auf einen traurigen Rekord zu. Bundesweit hat die Polizei von Januar bis November nach vorläufigen Zahlen 11.254 Straftaten in dieser Kategorie registriert, im Vorjahr waren es insgesamt 10.271 Straftaten, darunter 588 Gewalttaten. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Experten gehen nun davon aus, dass 2006 so viele Delikte registriert werden, wie seit 2001 nicht, als ein neues System zur Erfassung politisch motivierter Gewalt eingeführt wurde. Allerdings handelt es sich bislang um vorläufige Ergebnisse, erfahrungsgemäß liegen die endgültigen Zahlen noch höher, da Straftaten noch nachgemeldet werden. Alleine im November wurden den Angaben der Bundesregierung zufolge 1100 rechtsextreme Straftaten begangen. Darunter seien 64 Gewalttaten gewesen; es habe dabei 45 Verletzte gegeben.
Union: Mehr Integration am rechten Rand
Die Union erhofft sich nach Worten von Innenminister Wolfgang Schäuble eine größere Integrationskraft ihrer Partei am rechten Rand in den neuen Ländern. Es sei ein "besonderes parteipolitisches Problem für die Union, wenn eine rechtsextreme Partei bei Wahlen erfolgreich ist", sagte der Minister.
"Traurige Routine"
Niels Annen
SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen sagte gegenüber tagesschau.de, die Zahlen seien mehr als erschreckend. Es werde langsam zur traurigen Routine, diese zu kommentieren. Als Konsequenz forderte Annen einen Demokratiegipfel. Dieser solle keine Alibi-Funktion haben, sondern ein echtes Zeichen gegen die rechtsextremen Straftaten setzen. Die neuen Zahlen ließen ein Leugnen der Dringlichkeit nicht mehr zu.
Petra Pau von der Linksfraktion, die monatlich die entsprechenden Anfragen an die Regierung stellt, sagte gegenüber tagesschau.de, besonders erschreckend sei die hohe Zahl der Gewalttaten. Durchschnittlich gebe es täglich 2,5 Übergriffe in Deutschland - und dementsprechend viele Opfer. Sie forderte eine parteiübergreifende Strategie gegen den Rechtsextremismus. Dieser dürfe nicht nur als ein innenpolitisches Problem der Strafverfolgung wahrgenommen werden, sondern es müsse viel mehr präventive Maßnahmen geben, so Pau.
Petra Pau (Linkspartei)
Monika Lazar von den Grünen
@Die Rechtsextremismus-Expertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Monika Lazar, unterstützte gegenüber tagesschau.de Paus Forderung. Es gebe im Bundestag einen breiten Konsens bei diesem Thema, so Lazar. Niemand könne sich aus der Verantwortung stehlen - und der Politik komme eine Vorbildfunktion bei.
FDP-Innenexperte Max Stadler sagte gegenüber tagesschau.de, die "guten Absichten, sich gegen den Rechtsextremismus mit einem "Aufstand der Anständigen" zu wenden, reichten alleine nicht aus. "Die ansteigenden Zahlen rechtsextremer Straftaten zeigen, dass mit allen Mitteln des Polizei- und Strafrechts dagegen vorgegangen werden muss." Dazu gehöre vor allem auch eine ausreichende personelle Besetzung der Polizei, der Justiz und der übrigen Sicherheitsbehörden, so Stadler.
Sachsens Justiz kommt nicht mehr hinterher
Genau daran scheint es aber zu mangeln. Denn in Sachsen stößt die Justiz an ihre Grenzen. Der Leiter der Staatsschutzabteilung der Dresdner Staatsanwaltschaft, Jürgen Schär, sagte der Nachrichtenagentur ddp, es gebe alleine in Sachsen etwa 40 rechtsextremistische "Freie Kameradschaften" mit 1800 Mitgliedern. "Die würde ich gern überprüfen, aber das schaffen wir derzeit einfach nicht." Schär kritisierte, dass von der Anklage gegen Gewalttäter bis zur Verhandlung oftmals zu viel Zeit vergehe. Die dann verhängten Strafen entsprächen auch "nicht immer den Wertmaßstäben des Grundgesetzes". Für "nicht korrekt" hält Schär zudem die häufige Anwendung des Jugendstrafrechts. Sehr häufig werde ein 20-Jähriger unter Jugendschutz gestellt, "selbst wenn er an der Spitze einer Schlägerbande steht und die Gruppendynamik auslöst, statt ihr Opfer zu sein".
Quelle:
http://www.tagesschau.de
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