Monika Lazar (B’90/Die Grünen) im Interview: Mehr Bildung für die Bürger
geschrieben von: Ralf Julke am Donnerstag, 11. August 2005


Bündnis ‘90/Die Grünen hat die Markkleebergerin Monika Lazar in Sachsen zur Spitzenkandidatin gewählt. Die 37jährige Bäckerin, Betriebswirtin und Fußballspielerin war 1994 bis 1999 Fraktionssprecherin der Grünen im Markkleeberger Stadtrat, ist mehrmals als Direktkandidatin für den Bundestag im Leipziger Land angetreten. Im Januar 2005 schaffte sie es, kam als Nachrückekandidatin für Antje Hermenau in den Bundestag.


Ein halbes Jahr ist keine lange Zeit, um sich in die große Politik einzuarbeiten.

Das wirklich nicht. Die große Politik ist nicht für schnelle Erfolge bekannt. Ich habe auch mit Kollegen gesprochen. Ein Jahr dauert es mindestens, bis man die ersten Erfolge hat. Da kann man sich - wenn man wie ich mittendrin einsteigt - nur in die laufenden Prozesse einklinken. Hochschulpolitik war zum Beispiel so ein Thema. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts fiel in die Zeit, das dem Bund untersagte, den Hochschulen zu verbieten, Studiengebühren zu erheben. Das war schon interessant.


Warum interessant? Jetzt kann doch jedes Bundesland Gebühren beschließen.


Wir hatten auch gedacht, dass das dann sofort kommt und alle CDU-regierten Bundesländer zum nächsten Semester Studiengebühren einführen. Ist aber nicht passiert. Da staunt man manchmal. Aber mein eigentliches Gebiet, auf dem ich auch schon vorher gearbeitet habe, ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus. In Sachsen ja ein ganz aktuelles Thema. Andernorts aber wieder eingeschlafen. Man hat das Gefühl, die Leute werden immer erst munter, wenn es irgendwo brennt. Peter Hettlich hatte es inden letzten zwei Jahren mit betreut und war froh, als er durch mich entlastet wurde. Ich konnte mich dem Theme dann intensiver widmen.


Aber man hört seit dem Verbotsversuch in Sachen NPD nichts mehr aus dem Bund.


Es gibt seit 2001 ein Bundesprogramm zur Absicherung von Initiativen, die sich mit dem Thema befassen. Das funktioniert als Anschubfinanzierung: Der Bund gibt Geld, damit auch Länder und Kommunen sich an der Finanzierung mit beteiligen. Das hat bislang aber nicht so geklappt. Selbst da, wo es solche Initiativen gab - wie in Brandenburg und Sachsen-Anhalt - haben die Länder sich beim Regierungswechsel da rausgezogen. Dafür gibt es jetzt in Sachsen etwas, seit die NPD in den Landtag eingezogen ist. Aber das ist nun auch wieder von Kürzungen bedroht. Dabei sind das Strukturen wie in Wurzen das Netzwerk demokratische Kultur und eine Aussteigerinitiative in Bautzen, die mit wenig Geld sehr viel erreicht haben. Was gebraucht wird, sind in der Regel einfach die Grundkosten für die Infrastruktur.


Aber wo greift da eine Abgeordnete ein?


Wir können darum kämpfen, dass diese Mittel weiter zur Verfügung stehen. Und wir können unsere Möglichkeiten nutzen, dass die verschiedenen Initiativen miteinander in Kontakt kommen. Dafür wollte ich eigentlich in diesem Sommer durchs Land reisen und die Leute mal persönlich kennenlernen. Wenn es natürlich ganz anders kommt im Bund und die Gelder gestrichen werden, dann sieht es in vielen Gebieten bald ganz schwarz aus.


Was auch mit der großen Arbeitslosigkeit in manchen Gegenden des Ostens zu tun hat.


Ist auf jeden Fall ein Thema. Eines, mit dem sich auch viele grüne Abgeordnete aus dem Westen vorher nicht so beschäftigt haben. Und ich kenne das ja durch meine Arbeit hier in Leipzig, von Freunden und Bekannten, für wie wenig Geld die auch oft bereit sind zu arbeiten. Das sind oft Arbeitsbedingungen, da würde im Westen keiner für aufstehen. Aber selbst diese Arbeitsplätze sind rar.


Und die Vermittlung klappt nicht.


Die Arbeitsagenturen sind völlig überlastet. Die Umstellung hat einen ganzen Zacken an Bürokratie mehr eingebracht. Ich jedenfalls finde das höchst bedenklich. Die ganze Umstellung mit Hartz IV ist noch lange nicht abgeschlossen. Man braucht mindestens bis Ende des Jahres, um endlich zum Fördern zu kommen.


Aber wie, wenn im Osten die Arbeitsplätze fehlen?


Die Grünen haben ja das Thema Arbeit erstmals in ihrer Geschichte ganz oben mit auf der Agenda. Aber wir sagen nicht „Arbeit, Arbeit, Arbeit!“ wie die anderen. Arbeit allein ist kein Wert an sich, schon gar nicht, wenn ich unter schlechten Bedingungen arbeiten muss. Und wir sind ja auf dem besten Weg dahin, das zu bekommen, was man andernorts die „working poor“ nennt, die Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können und zwei, drei Jobs machen müssen, damit es reicht. Es gab genug Leute, die ja vor der Wiedereinführung der Mini-Jobs gewarnt haben. Und es ist genau das passiert, was vorausgesagt wurde. Gerade im Handel sind zahlreiche Verkäuferinnen-Jobs in 400-Euro-Jobs umgewandelt worden. Das ist verdammt wenig Geld für ein Arbeitseinkommen. Und nicht nur das: Es fehlen auch die Steuereinnahmen.


Großes Thema Steuern: Rauf oder runter?


Ohne Steuern können wir den Staat ganz vergessen. Und die Steuern einfach zu senken, bringt überhaupt nichts. Natürlich ist es sinnvoll zu überlegen: Wofür nehmen wir Steuern? Wofür geben wir das Geld aus? Das ist ja nicht mehr überschaubar. Alles ist miteinander verquickt. Überall sind irgendwelche Regularien zu beachten. Und bis jetzt hat sich jede Regierung hingestellt und gesagt: Wir bringen das in Ordnung. Aber wenn man genau hinschaut, ist Politik da schon ganz schön langsam. So langsam, das es frustrierend ist. Was man einfach nicht wahrhaben will, denn wenn man mit den Leuten spricht, sind die meisten nett und zugänglich. Aber ...


... aber wenn es um so einfache Sachen wie Kranken-, Renten - und Pflegeversicherung geht ...


Da haben die Grünen seit Jahren recht konkrete Vorstellungen. Wir sind einfach der Meinung: Es muss eine soziale Grundsicherung für jeden Geben. Thema Bürgerversicherung. Das ist ja eine ur-grüne Idee. Und eine Grundsicherung müsste einfach so beschaffen sein, dass sie vor Armut schützt. Das müsste doch möglich sein in diesem reichen Land.


Ein reiches Land, in dem man den Grünen nachsagt, sie vernichteten Arbeitsplätze.


Ja, das tut man, ohne hinzugucken. Das Paradebeispiel sind ja die erneuerbaren Energien. Die gab es zwar schon zu Kohls Zeiten, aber als Zukunftsbranche sind sie da überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Das war erst unter Rot/Grün möglich. Mittlerweile sind da Zehntausende Arbeitsplätze entstanden in einem Wirtschaftszweig, der echte Zukunftsperspektiven hat. Übrigens auch als Exportbranche. Das ist ja nun ein ganz klassischer Bereich grüner Beschäftigungspolitik. Oder nehmen wir einen anderen: den sanften Tourismus. Der hat jetzt in Mecklenburg-Vorpommern eine echte Perspektive bekommen. Es gibt immer mehr Menschen, denen ein schonender Umgang mit der Landschaft als Erholungsfaktor etwas wert ist.


Aber das sind jetzt keine Hochleistungsarbeitsplätze, konkurrenzfähig auch im Weltmarkt ...


Müssen sie ja auch nicht sein. Wir müssen ja auch den Großteil der Arbeitsplätze, die zum Beispiel in den arbeitsintensiven Branchen wegbrechen, irgendwie auffangen. Wir müssen da einen Ausgleich schaffen, und der kann nicht heißen, dass die verbleibenden Beschäftigten noch mehr Arbeiten müssen für weniger Geld. Wir müssen uns auch über Arbeitszeitverkürzung wieder Gedanken machen.


Aber da spielen die Unternehmen nicht mit. Solche Arbeitsplätze gelten nicht als wettbewerbsfähig.


Das hat mit den Unternehmen nichts zu tun. Das ist ein politisches Thema. Wir müssen endlich dafür sorgen, dass es keine Förderung mehr gibt für Produktionsanlagen, die ins Ausland verlagert werden. Wir müssen auch nachdenken, ob in so einem Fall nicht auch Subventionen zurückverlangt werden.


Verlagerung aber ist nur der eine Weg. Durch Rationalisierung werden genauso Arbeitsplätze abgebaut.


Und im Pflege- und Krankenbereich werden Arbeitskräfte gebraucht. Das ist schon heute so. Und in anderen Branchen melden sich auch die ersten Unternehmen zu Wort, weil ihnen die Fachkräfte fehlen. Die Kammern mahnen ihre Mitgliedsbetriebe, jetzt verstärkt wieder auszubilden, denn in acht bis zehn Jahren, wenn die geburtenschwachen Jahrgänge dran sind, wird es knapp werden mit gut ausgebildetem Personal.


Großes Thema Bildung: Kann unser Bildungssystem diesen Berufsnachwuchs überhaupt heranbilden?


Bildung steht ja bei Grün seit Jahren ganz oben auf der Liste. Es muss ganz einfach flächendeckend die Möglichkeiten zu einem lebenslangen Lernen geben. Und zwar für alle. Was wir aber erlebt haben, ist ein Rückfall in Kleinstaaterei. Für jemanden wie mich, der in der DDR groß wurde, nicht nachzuvollziehen. Die Länder wollten einfach nicht akzeptieren, dass es bundesweit einheitliche Standards für alle Schüler geben muss. Lernergebnisse müssen länderübergreifend vergleichbar sein. Und wenn wir von lebenslangem Lernen sprechen, dann geht das im Kindergaren los. Mit PISA ist ja gerade die Vorschule wieder in den Blickpunkt gerückt, was natürlich voraussetzt, dass entsprechend genügend Kindergartenplätze zur Verfügung stehen.


Kindergarten ist das eine. Aber richtig gesiebt wird ja in der Schule.


Ein Unding. Ich weiß auch nicht, was dieses frühe Aussortieren für Sinn machen soll. Unser Anliegen ist jedenfalls, dass länger gemeinsam gelernt werden soll. Das fordert nicht nur die Leistungsschwächeren mehr, das fördert auch die soziale Kompetenz. Das ist ganz wichtig. Und vor allem haben dann auch die eine Chance, die man für gewöhnlich die „Spätstarter“ nennt, Schüler, die erst in der sechsten oder achten Klasse langsam ihren Tritt finden. Mit dem Ganztagsschulbereich wurden ja ein paar Weichen in diese Richtung gestellt.


Was wieder nicht ohne eine Menge Geld ging.


Man darf Bildung nicht immer den ökonomischen Zwängen unterordnen. Bildung ist ein öffentliches Gut. Das vergessen die Meisten. Man darf es nicht den blanken Zwängen der Ökonomie unterordnen. Und wenn wir schon von Wettbewerb reden, dann hat PISA ja wohl gezeigt, dass uns andere da um Längen voraus sind. Im OECD-Durchschnitt schaffen 50 Prozent der Kinder die Voraussetzungen fürs Studium, in einigen skandinavischen Ländern sind es 70 Prozent, in Deutschland ganze 30 Prozent. Als Wissensgesellschaft hinken wir den anderen da ziemlich hinterher. Und das eigentlich Schlimme dabei ist, dass Bildung wieder von der Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist. Das ist ein Rückfall in Zeiten, die wir eigentlich schon überwunden geglaubt hatten.


Kann überhaupt von einer Wissengesellschaft die Rede sein? Bietet Unbildung nicht eher wieder die Grundlage für blanken Populismus und Schlimmeres?


Auch das ist ein Grund, warum ich mich auf dem Gebiet des Rechtsextremismus engagiere. Das hat sehr viel mit Bildung zu tun. Auch mit politischer Bildung. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ein gebildeter und mündiger Bürger gar nicht erwünscht ist. Dann ist auch erklärlich, warum unsere Schulen so sind, wie sie sind.




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