Wir dürfen Gefahren nicht herbeireden, aber ebensowenig totschweigen
Halberstädter Tageblatt/ Volksstimme vom 13.04.2006

von Tom Koch

Quasi über Nacht wurde Halberstadt im März bundesweit in den Medien als jene Stadt bekannt, in der Behörden vor Rechtsextremen einknicken.
Ohne ein voreilige Urteil zu fällen, suchte die Bündnisgrüne Monika Lazar das Gespräch vor Ort. Bei Landrat Henning Rühe erfuhr die Bundestagsabgeordnete, dass dieser das Wecker-Konzert weder abgesagt noch verboten hatte.

Monika Lazar auf Infotour gegen Rechtsextremismus
Die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar Sachsen (Mitte), informierte sich mit Halberstädter Kommunalpolitikern vom Forum und den Bündnisgrünen in der „Zora“ über die dort von Yvonne Bosse und Axel Elstermann geleistete Arbeit sowie die finanziellen Probleme des Soziokulturellen Zentrums. Foto: Tom Koch

Halberstadt. Sichtlich unwohl fühlte sich Henning Rühe im eigenen kleinen Sitzungsraum, als er gleich vier Grünen gegenübersaß und diese von ihm die Hintergründe wissen wollten, die zum Aus der „Antifa-Tour“ Konstantin Weckers geführt haben sollen. Wecker sollte am 8. März in Halberstadt auftreten. Auf keinen Fall, so betonte der parteilose Landrat, wolle er sich für sein Tun etwa verteidigen müssen, machte er gegenüber der Bundestagsabgeordneten Monika Lazar deutlich. Rühe wiederholte, dass mit dem Verein Zora bereits am 9. Februar eine Einigung darüber geherrscht habe, dass in der Aula des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums kein Konzert stattfinden werde. Stattdessen habe er im Sinne der Veranstaltung beim Nordharzer Städtebundtheater, der Hochschule Harz und dem Sport- und Freizeitzentrum vorgefühlt, ob diese ihre Räume zur Verfügung stellen.

Zum für Halberstadt vernichtenden Medienecho nach der vermeintlichen Absage erklärte Rühe: „Es bleibt die Frage, wem nützt solch‘ gewaltiger Rummel. Mir und Halberstadt nicht, auch die Zora hat mir erklärt, nicht Auslöser der Medienkampagne gewesen zu sein. Mehr sage ich dazu nicht.“

Hörte die aus Markkleeberg bei Leipzig stammende Lazar diese Fakten zum ersten Mal, so entwickelte sich ein Gespräch, das auch gegensätzliche Positionen nicht aussparte. Rühe bekräftigte, nicht etwa wegen der Drohgebärden einer NPD oder gar wegen deren unverhohlener Ankündigung, sich „aktiv am Konzert zu beteiligen“, gegen die Schule als Veranstaltungsort ausgesprochen zu haben. „Ich wollte und will nicht, dass sich Rechtsextreme mit ihren platten Parolen vor Gericht in unsere Schulen einklagen können.“ Jederzeit, so Henning Rühe, werde er erneut so handeln. Damit erntete er Widerspruch beim grünen Politikerquartett.

Gegen Aktionismus, für stetiges Engagement

Der Merseburger Sebastian Striegel erklärte, Schulen und andere öffentliche Gebäude wie Rathäuser dürften keinesfalls „unpolitische Orte“ sein. Auch dort müsse eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Zielen von NPD und Republikanern möglich sein.

Monika Lazar ist in diesen Wochen in den neuen Ländern auf „Infotour gegen Rechtsextremismus“. In ihrem Rühe-Gespräch suchte die Bundestagsabgeordnete daher auch einen Austausch darüber, wie es Verantwortlichen vom Bund, aus den Ländern und unmittelbar vor Ort gemeinsam gelingen kann, „Perspektiven gegen Neonazis“ aufzuzeigen.

Rühe forderte, „wir dürfen keine Helden schaffen“. Halberstadts Landrat meinte damit, weder die von den Rechten ausgehenden Gefahren totzuschweigen noch diese herbeizureden. Zugleich lehnte er Aktionismus ab, sprach sich für „ein stetiges gesamtgesellschaftliches Engagement“ aus.

Die Berliner Politik müsse bereit sein, wieder mehr Geld für soziale, Sport- und Jugendprojekte auszugeben als derzeit oftmals nur über den Umweg von Projekten mit dem Arbeitsamt, stellte Rühe fest. Interessiert verfolgten die Grünen die Informationen des Landrates über die Veranstaltungen am 22. April in Halberstadt:

„Wir wollen dem geplanten braunen Aufmarsch ein buntes Frühlingsfest entgegensetzen, das unser Motto deutlich macht: Halberstadt ist bunt, nicht braun.“ Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine und Verbände stünden laut Rühe mit sehr vielen Halberstädtern hinter diesem alle verbindenden Motto.

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