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Leipziger Volkszeitung, 24.10.2008
Antisemitismus-Initiative vor Aus
Union wirft Linkspartei vor, mit Juden und dem Staat Israel nicht im Reinen zu sein
Berlin. Gut zwei Wochen vor dem 70. Jahrestag der Reichspogromnacht steht eine gemeinsame Initiative gegen Antisemitismus im Bundestag vor dem Scheitern.
Es sollte ein parteiübergreifendes Signal im Kampf gegen den Antisemitismus sein.
70 Jahre nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wollte der deutsche Bundestag ein einmütiges Zeichen gegen Rassenhass setzen und zum Beweis des guten Willens einen Antisemitismus-Beauftragten ernennen. Schon einmal gelang es allen Fraktionen, ein Zeichen zu setzen. Im Jahr 2005, als der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad das Existenzrecht Israels bestritt, verurteilte der Bundestag geschlossen diese Form von Antisemitismus.
Doch dieses Mal ist alles anders. Schon jetzt ist klar, dass der Zeitplan der gemeinsamen Entschließung nicht eingehalten werden kann. Ob überhaupt noch eine Einigung zustande kommt, ist offen. Grund ist die Weigerung der Union, mit der Linkspartei beim Thema Antisemitismus gemeinsame Sache zu machen.
Nachdem sich Abgeordnete aller Fraktionen nach einjährigen Beratungen auf einen gemeinsamen Antragstext zur Bekämpfung des Antisemitismus verständigt hatten, legte die Union Mitte Oktober zur Überraschung der übrigen Fraktionen eine neue Fassung vor. Sie wollte einen Passus im Beschlusstext sehen, in dem der Umgang der DDR mit der jüdischen Bevölkerung problematisiert wird und strich die Linke kurzerhand aus der Reihe der antragstellenden Fraktionen. Konkret heißt es in der umstrittenen Passage: „Es muss daran erinnert werden, dass Israel von der DDR nie anerkannt worden ist, jüdische Unternehmer in der DDR enteignet wurden und aus der DDR fliehen mussten und die DDR wie 1973 unter Bruch des geltenden Kriegsvölkerrechts Waffen an Feinde des Staates Israel wie Syrien lieferte.“
„Man kann mit den Linken nicht über Antisemitismus reden, weil sie mit den Juden und dem Staat Israel nicht im Reinen sind. Bei den Linken in Deutschland gab und gibt es antisemitische Kräfte“, sagte der Innenexperte der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, dieser Zeitung. Unabhängig davon habe es gravierende Formfehler gegeben, da Antisemitismus wie jede andere Verfassungsfeindlichkeit im Innenausschuss beraten werden müsse. „Hier hat sich eine Gruppe x-beliebiger Abgeordneter monatelang in einem dilletantischen Verfahren getroffen, ohne das normale Prozedere zu beachten“, kritisierte Uhl. Er könne sich nicht erklären, wie dem Initiator, Gert Weisskirchen (SPD), ein solcher Fehler unterlaufen konnte. „Ich habe gehört, Herr Weisskirchen will selbst Antisemitismus-Beauftragter werden“, giftete Uhl. Fest stehe, dass der Antrag nun erst am 11. November in der Fraktions-Arbeitsgruppe behandelt werden müsse.
Grüne, SPD und Linkspartei reagierten vergrätzt. „Es ist empörend, dass die Union den so wichtigen Konsens der Demokraten bei diesem Thema in letzter Minute platzen lässt“, ereiferte sich Monika Lazar, die den Antragstext für die Grünen mit erarbeitete. Linksfraktionschef Gregor Gysi warf der Union vor, ihren Hass auf die Linke über ihre historische Verantwortung zu stellen. Die einzig produktive Forderung aus dem Streit zog der sächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber. Man müsse sich der Tatsache stellen, dass das Thema Israel und Zionismus in der DDR tabu gewesen sei. „Die hier bis heute bestehenden großen Defizite müssen endlich aufgearbeitet werden“, sagte Weißgerber dieser Zeitung.
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Von ELLEN GROSSHANS
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