22. März 2007
Deutscher Bundestag, 88. Sitzung

Rede von Monika Lazar zum "Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus"
 
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Monika Lazar hat jetzt das Wort für das Bündnis 90/ Die Grünen.
 
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rassismus ist ein wachsendes Problem in unserem Land, wie die Sozialforschung eindeutig belegt. Insofern verstehe ich nicht, Frau Köhler, wie Sie zu dem Schluss kommen können, dass die Studien fragwürdig sind, ob es nun die Studien oder die Wissenschaftler betrifft.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
 
Gerade diese Studien haben doch einen sehr breiten Ansatz, der Ihnen theoretisch nahestehen sollte.
 
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Köhler zulassen?
 
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja.
 
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die Antwort heißt Ja. Bitte schön.
 
Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU):
Frau Kollegin, Sie haben meine Bewertung der Studien angegriffen. Vermutlich haben Sie auch nicht mitbekommen, dass es in der Wissenschaft eine sehr breite Debatte gibt und dass sehr viele Wissenschaftler diese Studien angreifen. Aber lassen wir das jetzt beiseite.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie wirklich der Auffassung sind, dass jeder, der dem Statement „Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“ überwiegend zustimmt, bereits ein potenzieller Rechtsextremist ist. Ich frage Sie nicht, ob Sie dieser Aussage zustimmen – das ist nicht der Punkt –, sondern ich frage Sie, ob Sie es wirklich für richtig halten, dass jeder, der bei dieser Aussage ankreuzt „Ich stimme überwiegend zu“ schon als möglicher Rechtsextremist klassifiziert wird.
 
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ist das aus der Heitmeyer-Studie oder von Brähler?
 
Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU):
Nein, das ist aus einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus Leipzig.
 
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Heitmeyer hat einen ähnlich breiten Ansatz. – Nicht jeder, der diesem Satz und vielleicht noch einigen anderen Sätzen zustimmt, ist automatisch ein Rechtsextremist. Vielmehr geht es um eine starke Menschenfeindlichkeit insgesamt, das heißt um eine Anerkennungskultur oder eine Abwertungskultur. In diese Richtung gehen die Fragen. Sie haben sich eine einzige Frage herausgegriffen. Es gibt aber immer mehrere Fragen zu einem bestimmten Komplex.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Zu dieser Komplexität ist Frau Köhler nicht fähig!)
 
– Wahrscheinlich.
Es geht darum, dass sich bestimmte Menschen als etwas Besseres fühlen. Beispielsweise wertet ein Mann, weiß und heterosexuell, das Gegenteil – weiblich, dunkelhäutig und homosexuell – ab. Wissenschaftler würden in einem solchen Fall von Abwertungstendenzen sprechen – der Betreffende stellt sich über andere –, die in Richtung Rassismus gehen; denn bei Rassismus handelt es sich um eine Kultur, in der man sich über andere stellt. Herr Heitmeyer hat in seiner letzten Studie zur Fußballweltmeisterschaft – dieses Beispiel wird Ihnen wahrscheinlich nicht so gefallen – Umfragen zum Thema Patriotismus durchgeführt. Dabei kam genau das Gleiche zum Ausdruck. Natürlich ist es völlig normal, wenn sich jemand darüber freut, dass die deutsche Mannschaft gewonnen hat. Bis dahin ist es okay. Es ist aber ein feiner Unterschied, wenn jemand sagt, dass die Polen schlecht spielen oder gar keine Chance haben, zu gewinnen; darauf kommt es an. Man darf aber nicht eine bestimmte Frage herausgreifen und denjenigen, der diese Frage bejaht, als Rechtsextremisten bezeichnen. Das macht kein Wissenschaftler. Das können Sie aus der Beantwortung der von Ihnen angeführten Frage nicht herauslesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/CSU]: So ist die Studie aber angelegt!)

Wir alle wissen: Es gibt großen Handlungsbedarf, breit angelegt gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus vorzugehen. Dazu gehört, dass sich die Politik klar und eindeutig dagegen positioniert. Ein nationaler Aktionsplan hätte eine solche Signalwirkung. Doch bevor wir eine neue Baustelle namens nationaler Aktionsplan eröffnen, möchte ich an die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus erinnern. Bis Ende letzten Jahres hießen sie Civitas und Entimon. Sie waren wirklich innovativ. Heute gibt es Fachwissen zivilgesellschaftlicher Initiativen vor Ort.
 
Wir können auf praxiserprobte Kompetenzen von Opferberatungsstellen, mobilen Beratungsteams und Aussteigerinitiativen wie EXIT zurückgreifen. Wir hatten gutfunktionierende Programme, die demokratieförderndes Engagement vor Ort stärkten. Sie waren auf lokale Projekte zugeschnitten, wurden individuell vergeben und hatten die Zivilgesellschaft als wichtigsten Akteur im Blick.
 
Die neuen Bundesprogramme erwecken manchmal den Eindruck: Hauptsache etwas anderes als die Vorgängerregierung! Denn praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Evaluationen werden nicht immer sehr ernst genommen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Ausgestaltung des 5-Millionen-Euro-Programms für Beratungsnetzwerke. Zum Glück hat es sich in den letzten Wochen in eine für uns angenehmere Richtung entwickelt. Aber einige Sachen haben wir zu kritisieren, zum Beispiel dass nur noch zeitlich befristete Interventionen gefördert werden. Dass die Bundesregierung nur Geld bereitstellen will, wenn eine örtliche Krise bereits im Gang ist, ist einfach zu kurz gedacht. Ein „Feuerwehreinsatz“ reicht eben nicht.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Evaluation hat gezeigt, dass es darum gehen muss, präventiv und kontinuierlich zu beraten.
Wenn man diese Entwicklungen betrachtet, dann kommt man zu dem Schluss, dass ein nationaler Aktionsplan sinnvoll sein könnte. Man müsste sich auf einen gemeinsamen Weg einigen und hätte dann die Chance, dem Rechtsextremismus mit langfristigen Konzepten entgegenzutreten.
 
Zu überlegen wäre, ob zur Ausarbeitung eines solchen Plans ein völlig neues Gremium zu bilden ist oder ob zum Beispiel das bestehende, beim Bundesinnenministerium angesiedelte Bündnis für Demokratie und Toleranz befristet mit weiteren NGOs aufgestockt werden könnte. Aber zusätzlich zu den Diskussionen in unseren Reihen müssen wir die gesamte Gesellschaft ansprechen. Alle Ebenen sind dabei gefragt. Wir dürfen nicht in Zuständigkeiten, sondern müssen in Verantwortlichkeiten denken.
 
Wir brauchen zum Beispiel auch mehr politische Partizipationsmöglichkeiten für Menschen mit Migrationshintergrund. Wir brauchen Gesetze, die unsere Zivilgesellschaft aktivieren. Rechtsextreme und rassistische Diskriminierungen finden nach wie vor statt, täglich in Ost und West. Deshalb setzen wir Grünen in erster Linie ganz stark auf eine aktive Zivilgesellschaft. Aber wie erreichen wir dieses Ziel? Ein Aspekt ist, dass man erfahrenen Akteuren vor Ort keine Steine in den Weg legen darf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Vorbild der Engagierten ist wichtig, damit sich weitere Menschen anschließen. Wenn wir uns alle für eine tolerante und demokratische Gesellschaft einsetzen und auch die Politik auf allen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – moralische und finanzielle Unterstützung anbietet, kann der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus eine sinnvolle Ergänzung sein.
Schönen Dank.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

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