10.11.2006

Erklärung zum Abstimmungsverhalten nach § 31 GO BT

Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ( Drucksache 16/3150 )

Den Antrag der Deutschen Bundesregierung auf Fortsetzung einer deutschen Beteiligung bei der Operation Enduring Freedom (OEF) lehnen wir ab.

Zu Enduring Freedom gehört der Kriegseinsatz im Süden und Osten Afghanistans. Er findet unter Führung der US-Armee seit fünf Jahren statt. Er schürt die islamistische terroristische Gefahr. Er bringt dem Land keinen Frieden und keine friedliche Entwicklung.

Der Kriegseinsatz Enduring Freedom trägt nicht dazu bei, die islamistische terroristische Gefahr nachhaltig zu mindern oder gar zu beseitigen, nicht in Afghanistan, auch nicht weltweit. Ganz im Gegenteil, durch diesen Kriegseinsatz und insbesondere durch die Art und Weise der Kriegsführung wird diese terroristische Gefahr erhöht und letztlich gefördert.
 
In dem UN-Beschluss, mit dem dieser Kriegseinsatz legitimiert wird, ist keine Rede von einem Recht oder einem Auftrag zur Kriegsführung, sondern davon, dass die Verantwortlichen für die Anschläge vom 11.9.2001 in New York und Washington der Gerechtigkeit zugeführt, also vor Gericht („bring to justice“) gestellt werden sollen. Gerade das aber ist im Afghanistan-Krieg nicht der Fall.
 
In Afghanistan findet Aufstandsbekämpfung statt, die auf die Vernichtung der gegnerischen Kämpfer und solcher Personen gerichtet ist, die für gegnerische Kämpfer gehalten werden. Fast immer sind auch Zivilisten, Frauen und Kinder unter den Opfern der Kriegseinsätze. Ganze Ortschaften werden aus der Luft mit Raketen angegriffen und vollständig zerstört. Unterschiedslos sterben in den Trümmern Kämpfer und Zivilbevölkerung. Verdächtige werden getötet, vertrieben oder nach Guantanamo verbracht. Das vermutete Umfeld, Häuser und Siedlungen werden mit Bomben und Raketen zerstört. Die Erfahrungen dieser Kriegsführung bewirken neuen Hass und treiben den Islamisten neue Kämpfer zu. Diese Spirale der Gewalt und die Eskalation des Terrors scheint unaufhaltsam.

Dieser Kriegseinsatz Enduring Freedom in Afghanistan hat immer weniger Hoffnung auf Frieden und eine friedliche Entwicklung zur Folge. Die militärische Lage ist dramatisch schlechter geworden. Noch Ende 2004 erklärten Militärkommandeure in Afghanistan die Islamisten faktisch für besiegt. Aber trotz immer neuer Großoffensiven der Streitkräfte von Enduring Freedom sind die militanten islamistischen Fundamentalisten heute so stark wie nie zuvor seit dem Sturz der Taliban vor fünf Jahren. Jede Woche gibt es neue Meldungen von Gefechten mit Hunderten von Toten. Der britische General Richards befürchtet, dass sich 70 Prozent der Afghanen wieder den Taliban anschließen würden

Der Kriegseinsatz Enduring Freedom diskreditiert die Aufbaubemühungen im nach Jahrzehnten des Krieges zerstörten Afghanistan. Die US-Armee und ihre Verbündeten werden schon jetzt im Süden und Osten als Besatzer gesehen, die der Bevölkerung nur weitere Leiden bringen. Der Krieg verhindert, dass Aufbaubemühungen der als Besatzer Gesehenen anerkannt und akzeptiert werden. Einer Armee, die gerade noch Gehöfte und Dörfer zerstört und Familienangehörige getötet hat, kann man schwer abnehmen, dass sie Schulen zum Wohle der Bevölkerung bauen will.

Eine Erfolg versprechende Planung für eine Beendigung des Krieges und für Aufbau und Entwicklung im ganzen Land ist nicht ersichtlich. Stattdessen gilt das „Weiter-So“ und wird die Forderung erhoben nach immer mehr Kampftruppen und schwerem militärischen Gerät. Als wenn mehr Soldaten und mehr Krieg den Frieden schaffen könnten, den zu schaffen in den letzten Jahren auch mit immer mehr Soldaten gänzlich misslungen ist.
Inzwischen wird das Militär des ISAF-Einsatzes, der eigentlich anders als der von Enduring Freedom nicht auf Kriegsführung ausgerichtet war, sondern auf Schutz und Unterstützung der Aufbau- und Entwicklungsarbeit, immer mehr für den Aufgabenbereich von Enduring Freedom im Süden und Osten Afghanistans eingesetzt. Die Unterscheidung der Einsätze dort von ISAF und Enduring Freedom wird immer weniger möglich. Diese Entwicklung wird dazu beitragen, die ISAF-Kräfte auch im Norden und Westen immer stärker als Besatzer zu sehen und den Krieg auch in den Norden auszuweiten.

Deshalb fordern immer mehr Experten aus dem militärischen und zivilen Bereich, wie der ehemalige General Reinhard, die Entwicklung einer Ausstiegsstrategie, um die Eskalation des Krieges zu stoppen und die Chancen einer friedlicheren Entwicklung zu wahren. Auch wir sehen, dass deutsche ISAF-Kräfte, von der Nato gedrängt, zunehmend Teil des Kampfes im südlichen Afghanistan werden. Das Risiko ist groß, dass sich der Krieg auch in den noch relativ friedlichen Norden ausweitet. Angesichts einer unübersehbaren Gewaltspirale und eines immer deutlicher werdenden Scheiterns einer militärischen Befriedung des Landes halten wir eine kritische Reflexion der Afghanistanstrategie für dringend geboten.
Dazu gehören auch Überlegungen zu einer verantwortbaren Rückzugsstrategie. Im Abwägungsprozess, ob ein Bleiben mehr oder weniger Gewalt bedeutet, sehen wir immer klarer, dass der militärische Weg - Enduring Freedom und ISAF - Gewalt steigert anstatt sie abzubauen. Der internationale Terrorismus wird so jedenfalls nicht erfolgreich bekämpft. Im Gegenteil: Selbstmordanschläge, die es früher in Afghanistan gar nicht gab, werden ungewollt gefördert. Es droht die Irakisierung Afghanistans.

Die Bundesregierung hat auf jegliche Begründung, die die Verhältnisse in Afghanistan in den Blick nimmt, verzichtet. Sie begründet ihren Antrag allein mit dem Blick auf die Verbündeten und warnt vor einem schlechten Signal. Sie klärt weder das Handeln von Enduring Freedom in der Gesamtheit auf noch beantwortet sie die Frage der Einbindung deutscher KSK-Kräfte in die Operation.
Sie bezieht auch keine Stellung zu den notwendigen Konsequenzen für deutsche Kräfte aus der Inkraftsetzung des Military Commission Act der US-Regierung, der dem international gültigen Kriegsvölkerrecht widerspricht und rechtliche Voraussetzungen für folterähnliche Methoden für Militär und Geheimdienste schafft. Es fehlt der Mut und die Kraft, sich von den inakzeptablen Praktiken der US-Armee zu distanzieren, obgleich die Kritik daran weite Teile der US-Armee erfasst hat, wie jüngst auch an den US-Kongresswahlen offensichtlich wurde.

Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Verlängerung des Einsatzes Enduring Freedom ohne Wenn und Aber würde einen verhängnisvollen Weg ohne reale friedliche Perspektive für Afghanistan fortsetzen. Ich lehne den diesen Einsatz deshalb ab.

Hans-Christian Ströbele
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Anton Hofreiter
Monika Lazar
Sylvia Kotting-Uhl
Irmingard Schewe-Gerigk
Harald Terpe

 

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