Zur 2/3. Lesung
und Abstimmung zu Graffiti
Erklärung gemäß § 31 GO der Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele, Jutta Dümpe-Krüger, Monika
Lazar
17. Juni 2005
Wir stimmen dem Gesetzentwurf nicht zu. Wir lehnen ihn
ab.
Die vorgesehene Ausweitung der Vorschrift des Strafgesetzes
ist das ungeeignete und falsche Mittel zur Auseinandersetzung mit
dem Problem des Graffiti-Sprayens und den Sprayern.
Dieses Strafgesetz trifft die harmloseste Variante
von Graffiti an Hausfassaden, Denkmälern oder Bahnwagen, nicht
die „harten“ Sprayer.
Die Täter, die mit Lackfarbe Wände und Bahnwagen besprühen,
Scheiben oder lackierte Flächen zerkratzen, also wirklich schwere
Schäden anrichten, die werden ganz unbestritten nach geltendem
Strafrecht stets betraft und zur Schadensbeseitigung verurteilt
– wenn sie erwischt werden und ihre Tatbeteiligung zweifelsfrei
bewiesen wird. Dazu braucht es kein neues Gesetz. Und auch das neue
Gesetz hilft nicht, solche Täter schneller und häufiger
zu fassen oder ihre Tatbeteiligung einfacher zu beweisen.
Die Täter aber, die vergleichsweise harmlos sind,
die mit abwaschbarer Farbe sprayen oder malen, die Plakate kleben
oder in anderer Weise das Erscheinungsbild verändern, können
jetzt leichter mit Kriminalstrafen belangt werden.
Das halten wir für unangemessen und falsch.
Auch wir sind der Meinung, dass Graffiti ein ärgerliches
Übel für betroffene Eigentümer und für viele
Betrachter ist. Die Beseitigung von Graffiti kostet häufig
die privaten Eigentümer und die öffentlichen Kassen viel
Geld. Millionen müssen von Kommunen und öffentlichen Verkehrsbetrieben
ausgegeben werden, die an anderer Stelle fehlen und wahrlich sinnvoller
ausgegeben werden könnten. Das bedauern auch wir. Deshalb haben
wir uns intensiv mit dem Thema Graffiti befasst. Wir sind immer
wieder zu der Auffassung gelangt, dass die vielfach und alle Jahre
wieder vorgeschlagenen Erweiterungen des Strafgesetzbuches nicht
richtig und überzeugend sind. Änderungen des Strafrechts
– wie auch heute zu beraten – helfen nicht, das Problem
zu lösen. Vorschläge für Erweiterungen der Kriminalisierung
waren häufig Ausdruck hilflosen Aktivismus, der Lösungen
versprach nach dem Motto: „wir tun wenigstens was“,
obwohl die Initiatoren selbst wussten, dass sie nur „weiße
Salbe“ als Heilmittel anboten.
Es konnte bisher nie nachgewiesen werden, dass potentielle
Täter von Graffitisprayen durch eine Strafverschärfung
von ihrer Tat abgehalten werden. Ganz im Gegenteil. Viele Täter
macht gerade das Verbotene scharf. Je größer die öffentliche
Aufmerksamkeit ist, umso mehr wird gesprayt, wie gerade nach den
spektakulären Hubschraubereinsätzen gegen Graffitisprayer
in Berlin vor einigen Wochen deutlich wurde.
Die Strafrechtsverschärfung wird an der sehr geringen Aufklärungs-
und Ergreifungsquote nicht das mindeste ändern. Dies räumen
selbst harte Befürworter der Änderung ein. Die Neuerung
wird nicht öffentliche Flächen oder private Hauswände
sauberhalten oder geschädigten Eigentümern helfen und
materiellen Ersatz verschaffen.
Nur ca. 30 Prozent der Straftaten, die im Zusammenhang mit Graffiti-Sprühen
stehen, werden bundesweit aufgeklärt. Es ist nicht zu erkennen,
wieso durch eine Erweiterung der Strafvorschrift mehr Tatverdächtige
als bisher entdeckt und gefasst werden sollten, um sie strafverfolgen
zu können.
Während einer kürzlichen Anhörung im
Bundestag äußerten im Gegenteil Vertreter der Berliner
Polizei die Befürchtung, die vorgeschlagene Ausweitung des
§ 303 StGB würde lediglich mehr personelle Kapazitäten
mit der absehbar ergebnislosen Einleitung von Unbekannt-Verfahren
binden.
Die allermeisten Graffitis werden schon vom geltenden
Sachbeschädigungs-Tatbestand des § 303 StGB erfasst, da
sie - oder jedenfalls ihre Entfernung - den Untergrund bzw. die
Substanz der Sache beschädigen. Werden die Täter gefasst,
werden sie auch bestraft. Dazu braucht das Gericht in aller Regel
auch keine teuren Gutachten.
Um ärgerliche Graffitis zu verringern, müssen
andere Wege als nur immer mehr Kriminalisierung gegangen werden.
Wichtig ist, die Unterschiede der Motive der Sprayer zu berücksichtigen.
Es gibt Sprayer, die wollen sich künstlerisch
betätigen, Kunstwerke schaffen. Ihre Werke werden in Kunstkalender,
in Kunstbücher und in Web-Seiten aufgenommen. Sie sind meist
bereit, auf legale Ersatzflächen auszuweichen, die ihnen ihr
Werk ermöglichen und dieses öffentlich zu präsentieren.
Die große Mehrheit der Sprayer, sprayt Tags,
um Anerkennung in der Szene und in der Öffentlichkeit zu erlangen.
Je höher das Risiko, das er beim Sprayen eingeht, je gewagter
und je zahlreicher die Graffitis, umso höher das Ansehen.
Nur selten gelingt es, diese Sprayer auf legale Flächen zu
verweisen. Solange Sprayen cool ist, solange können präventive
und nachsorgende Maßnahmen allenfalls das Problem eingrenzen
und lindern. Graffiti-abweisende Untergrundbeschichtung für
gefährdete Flächen, insbesondere an öffentlichen
Gebäuden und Bahnen kann vorsorgen und die Kosten der Beseitigung
erheblich mindern. Regelmäßige rasche Beseitigung der
Tags mindert den Reiz, weil diese nicht lange zu sehen sind und
für Anerkennung sorgen. In Kopenhagen, aber auch in Berlin
wurden gute Erfahrungen gemacht. Die immer wieder schnell gereinigten
Flächen blieben nach einiger Zeit tatsächlich unbesprayt.
Der Erwerb der Spraydosen mit gefährlichem Kunstlack kann erschwert
und durch Sonderabgaben wie etwa auf sogenannte Alcopops erheblich
verteuert werden. Die eingesetzten Spraydosen werden weniger und
die Schäden geringer.
Eine kleine Minderheit der Täter will zerstören
und Schaden anrichten. Dagegen hilft die Verbesserung der Aufklärungsquote,
um die Täter zur Verantwortung ziehen und den Geschädigten
Schadensersatz verschaffen zu können und Sozialarbeit, um den
Jugendlichen andere Perspektiven aufzuzeigen.
Wir wollen uns nicht dem öffentlichen Druck
beugen, der während des maßlosen Hubschraubereinsatzes
des BGS gegen Graffitisprayer gar hysterische Züge annahm und
stimmen deshalb dem unsinnigen, unnützen und falschem Gesetz
nicht zu, das die falschen kriminalisiert.
Auch wir wollen mitwirken bei der Suche nach weiteren Lösungen,
ärgerliche Farbschmierereien zu verringern, die Schädiger
zu ermitteln und Geschädigten durchsetzbare Ansprüche
gegen sie zu verschaffen. Für populär klingende Scheinlösungen,
die Geschädigte und Öffentlichkeit irreführen und
diesen vorgaukeln, dem Übel würde abgeholfen, sind wir
nicht zu haben.
[zurück]
|