Kleine Anfrage
der Abgeordneten Monika Lazar, Hans-Christian Ströbele, Claudia Roth (Augsburg), Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar vonNeuforn, JosefPhilip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Strafverfolgung wegen Verwendens von Symbolen gegen Rechtsextremismus

Laut Medienberichten (u.a. Schwäbisches Tageblatt 8. November2005; ARD-Monitor 24. November 2005) verurteilte das Tübinger Landgericht am 7. November 2005 einen Studenten, weil er beim Demonstrieren gegen Rechtsextremismus ein durchgestrichenes Hakenkreuz an seinem Rucksack getragen hatte.

Viele weitere Strafermittlungsverfahren gegen Betroffene, die z.B. ähnliche Symbole an der Kleidung trugen, auf Protestplakaten verwendeten oder gewerblich versandten, schaffen Rechtsunsicherheit. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart beschlagnahmte bei einem Versand für derartige Artikel T-Shirts, Anstecker, Aufnäher, tausende Kataloge und Daten von Käuferinnen und Käufern, denen nun gleichfalls Strafverfahren drohen.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelte wegen § 86 a Strafgesetzbuch (StGB) gegen eine Frau, die seit 20 Jahren über 8000 Hakenkreuze sowie rechte Hassparolen übermalt hat und deswegen kürzlich mit dem Erich-Kästner-Preis geehrt wurde, weil sie mit Fotos auf ihre Tätigkeit hinwies.
Auch wer auf Internet-Seiten zwecks Aufklärung Links zu Seiten mit rechtsextremistischen Symbolen schaltet, drohen Strafverfahren und Beschlagnahmungen des Computers.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Gegen wieviele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit Inkrafttreten des §86aStGB Strafverfahren wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingeleitet, obwohl die verwendeten Symbole in einer Weise dargestellt waren, die eine Gegnerschaft zum Rechtsextremismus ausdrückte?

2. In wievielen dieser Fälle kam es nach Kenntnis der Bundesregierung zu einer Verurteilung und wie viele dieser Verurteilungen wurden rechtskräftig?

3. Wie rechtfertigt die Bundesregierung angesichts dieser Praxis den Abdruck von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Publikationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, etwa in den jährlichen Verfassungsschutzberichten oder in der Broschüre „Symbole und Zeichen der Rechtsextremisten“?

4. Teilt die Bundesregierung unsere Auffassung, dass
a) nach der beschriebenen Auslegung des §86aStGB auch viele Abbildungen in Publikationen der Bundeszentrale für Politische Bildung über den Nationalsozialismus sowie in Schulbüchern strafbedroht wären?
b) die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt.25,30;128,13, wonach das Vorzeigen solcher Symbole etwa auf Demonstrationen gegen Rechtsextremismus oder in ähnlichen Fällen den Straftatbestand nicht er-fülle, offenbar die geschilderte Strafverfolgungspraxis nicht hinreichend sicher ausschließt?
c) folglich eine gesetzliche Klarstellung angezeigt sein könnte mit dem Ziel, eine solche Anwendungspraxis künftig sicher zu unterbinden?

Berlin, den 7. Dezember 2005
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

 

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Material

Lesen Sie Monika Lazars Themenpapier:
Rechtsextremismus in Deutschland – Analyse und Gegenstrategien
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