Zum Antrag §86a StGB, 19. Oktober 2006
Anti-Nazi-Symbole strafbar?
Urteile gegen zivilgesellschaftliches Engagement
Zivilgesellschaftliche Akteure sind hochgradig verunsichert. Einmal mehr wurde ihr Engagement gegen Rechtsextremismus am 29. September 2006 durch ein Gerichtsurteil kriminalisiert.
Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Geschäftsführer des Nix-Gut-Versandes zu einer Geldstrafe von 3.600 € mit der Begründung, er habe Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen laut § 86a StGB verwendet. Der Nix-Gut-Versand vertreibt allerdings ausschließlich Anti-Nazisymbole, wie beispielsweise durchgestrichene, zerschlagene oder in eine Mülltonne geworfene Hakenkreuze. Alle Versandprodukte sind ganz eindeutig gegen den Nationalsozialismus gerichtet.
Diese Rechtsauslegung ist kein Einzelfall. So wurde etwa ein Student vom Tübinger Landgericht am 7. November 2005 verurteilt, weil er beim Demonstrieren gegen Rechtsextremismus ein durchgestrichenes Hakenkreuz an seinem Rucksack getragen hatte. Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelte wegen § 86a StGB gegen eine Frau, die seit 20 Jahren über 8 000 Hakenkreuze sowie rechte Hassparolen übermalt hat und dafür kürzlich mit dem Erich-Kästner-Preis geehrt wurde. Die Ermittlungen erfolgten, weil sie mit Fotos auf ihr Engagement hinwies.
Immer wieder müssen Menschen, die Anti-Nazi-Symbole an ihrer Kleidung tragen oder auf Protestplakaten verwenden, mit Strafermittlungsverfahren rechnen. Auch wer auf Internet-Seiten zwecks Aufklärung Links zu Seiten mit rechtsextremistischen Symbolen schaltet, dem drohen Strafverfahren und Beschlagnahmungen des Computers. Solche Urteile und Ermittlungsverfahren schaffen Rechtsunsicherheit und behindern die Arbeit gegen Rechtsextremismus.
Zur Verwirrung trägt bei, dass sogar offizielle Stellen in ihren Veröffentlichungen die von Gerichten als "verfassungsfeindliche Kennzeichen" definierten Symbole verwenden. So ist beispielsweise auf der Vorderseite der Aufklärungsbroschüre des Freistaats Sachsen "Mit Hakenkreuz und Totenkopf – wie sich Rechtsextremisten zu erkennen geben" ein durchgestrichenes Hakenkreuz abgebildet. Die SPD publizierte das Heft "Versteckspiel – Lifestyle, Symbole und Codes bei neonazistischen und extrem rechten Gruppen", in dem nationalsozialistische Kennzeichen vollkommen unverändert abgebildet wurden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz gab unter dem Titel "Symbole und Zeichen der Rechtsextremisten" eine Broschüre heraus, in der die mit Hakenkreuzen versehenen Abzeichen von NSDAP und Hitlerjugend zu sehen sind. Alle drei Broschüren wurden 2005 herausgegeben. Die internationale Fußball-Organisation FIFA hatte zur Fußball-WM in Stadien und Broschüren verschiedene der umstrittenen Anti-Rechts-Symbole verwendet. Die öffentliche Kampagne "Du bist Deutschland" untermauerte ihre Aussagen mit durchgestrichenen bzw. zerschlagenen Hakenkreuzen.
Bündnis 90/Die Grünen wollen zivilgesellschaftliches Engagement stärken. Es soll auch durch Anti-Nazi-Symbole sichtbar sein dürfen. Wir erwarten daher von der großen Koalition, dass sie das Problem wahrnimmt und zu einer Lösung beiträgt. In einem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, die Rechtssprechung zum § 86a Strafgesetzbuch (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) auszuwerten und ggf. den Gesetzestext zu präzisieren. Bürgerinnen und Bürger, die in unserer Gesellschaft die Demokratie stärken wollen, brauchen Unterstützung. Ihr Engagement muss gesetzlich geschützt – und nicht bedroht – werden.
[Der Antrag ist hier zu lesen.]
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