Grenzen lokaler Demokratie
Grüne Studie untersucht zivilgesellschaftliche Strukturen gegen Nazis im ländlichen Raum.
20. Juni 2007
Abweichende
Meinungen werden in ländlichen Räumen kaum toleriert. Zu diesem
Ergebnis kommt die Studie "Grenzen lokaler Demokratie -
Zivilgesellschaftliche Strukturen gegen Nazis im ländlichen Raum",
welche von der grünen Bundestagsfraktion im vergangenen Jahr in Auftrag
gegeben worden war.
Die Studie zeigt: Das Problem liegt im Denken großer Bevölkerungsteile, nicht im Handeln sogenanter extremer Randgruppen. Unabhängig von Bildung, Alter, Geschlecht oder sozialem Status trifft man in Deutschland auf hohe Zustimmung zu rassistischen und
antisemitischen Einstellungen. In ländlichen Regionen, in denen eine
Vielfalt von Angeboten häufig fehlt, treten die Erscheinungsformen
verstärkt zutage. Alternative Anti-Nazi-Initiativen haben oft einen
schweren Stand.
Im ländlichen Raum geht ohne das Engagement der BürgermeisterInnen
nichts. Als Grund für die Probleme von Antinazi-Initiativen in Dörfern
und Kleinstädten ermittelte die Studie ein Demokratiedefizit.
"Andere Meinungen in wichtigen politischen Fragen werden kaum
ertragen", konstatieren Doris Liebscher (Antidiskriminierungsbüro
Leipzig) und Dr. Christian Schmidt (Sächsische Akademie der
Wissenschaften zu Leipzig), die AutorInnen der Studie. Entsprechend
schwer haben es politische Gruppen, mit ihrer Kritik von den
kommunalpolitisch Verantwortlichen gehört zu werden. Wer Kritik an den
Behörden übt, gilt schnell selbst als extrem. Dies belegen viele
Interviews, die mit Personen von unterschiedlichen Behörden und
Initiativen durchgeführt wurden.
Im Ergebnis der Untersuchungen sind in der Studie differenzierte Empfehlungen aufgelistet.
Empfehlungen für alle Ebenen:
- inhaltliche Auseinandersetzung mit Einstellungen statt Auseinandersetzung mit Randgruppen;
- den Begriff "Rechtsextreme" durch "Nazis" ersetzen
Empfehlungen für Bund und Länder:
- wissenschaftliche Konzept entwickeln, die über die Jugendarbeit
hinausreichen, um über Erwachsenen- und betriebliche Weiterbildung,
sowie Bildungsarbeit von Parteien, Vereinen und Verbänden in
gesellschaftliche Regelstrukturen wie Ausbildung, berufliche Tätigkeit
und Freizeitorganisation hineinzuwirken;
- Förderschwerpunkte schaffen, die Anreize für liefern, solcher Konzepte umzusetzen;
- kommunale Verwaltungsspitzen in der Auseinandersetzung mit Nazis
unterstützen durch Fortbildungsangebote und die Darstellung von
Modellprojekten;
- extra-kommunale symbolische Anerkennung dissidenter Gruppen (durch Preise, Einladungen, öffentliche Anerkennung);
- extra-kommunale Anlaufstellen mit Beratungs- und
Koordinationscharakter für dissidente Gruppen fördern, um Möglichkeiten
zur Kritik an den kommunalen Verwaltungen zu eröffnen;
- über einen Teil der finanziellen Förderung möglichst fern von der betroffenen Kommune entscheiden;
- professionelle Angebote der mobilen Beratung und der Opferarbeit als langfristige Strukturen erhalten und weiterentwickeln;
- pädagogisches Personal der Schulen zur Auseinandersetzung mit Nazis
(inhaltliche Auseinandersetzung, Durchsetzen von Grenzen) ausbilden;
- Pädagogenausbildung und Lehrpläne ergänzen um die Auseinandersetzung mit den Elementen der Naziideologie.
Empfehlungen für Parteien:
- parteilicher Druck auf die kommunal Verantwortlichen, gegen lokale Naziprobleme öffentlich aktiv zu werden;
- Verwaltungsspitzen dazu bewegen, aktiv gegen bestehende Demokratiedefizite vorzugehen;
- kommunalen Verwaltungsspitzen die Akzeptanz von Dissens nahe bringen;
- Auseinandersetzung mit den Elementen der Naziideologie in das Programm der Bildungsangebote der Parteien aufnehmen:
Empfehlungen für Vereine, Verbände und Kirchen:
- pädagogisches Personal zur Auseinandersetzung mit Nazis (inhaltliche Auseinandersetzung, Durchsetzen von Grenzen) ausbilden;
- Auseinandersetzung mit den Elementen der Naziideologie in das Programm auf Mitglieds- und Funktionärsebene aufnehmen;
- Bekenntnisse zur Naziszene ächten;
- Signale setzen, z.B. durch Untersagen des Tragen einschlägiger Symbole oder Kleidungsstücke;
- Sorge tragen, dass Vereine nicht zu No-Go-Areas für Naziopfer werden;
- ein Diskriminierungsverbot ins Selbstverständnis aufnehmen:
Empfehlungen für Kommunen:
- inhaltliche Auseinandersetzung mit Nazipositionen und
-argumentationsmustern im konkreten kommunalen Rahmen suchen (über die
Lokalpresse, Postwurfsendungen etc.);
- Maßnahmen, die dem Empowerment von potentiellen Opfern der Nazis dienen;
- potenziellen Opfern von Nazis bzw. den von ihnen gebildeten Gruppen
und Initiativen in der Auseinandersetzung mit Nazis besonderes Gehör
schenken; ihre Menschenwürde gerade auch gegen die gesellschaftlich
verbreiteten Vorurteile durch eine möglichst weitgehenden Einbeziehung
und Unterstützung stärken;
- öffentliche Solidarisierung mit den Opfern von Nazis;
- selbstverwaltete und partizipative Angebote unterstützen;
- Erreichbarkeit der Angebote in der Jugendarbeit konzeptionell berücksichtigen.
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Studie Grenzen lokaler Demokratie
Studie Grenzen lokaler Demokratie (Zusammenfassung)
Quelle: http://www.gruene-bundestag.de/