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Veranstaltungsbericht Fachgespräch
"Wie weiter im Kampf gegen Rechtsextremismus?"
Am 26. Juni 2006 fand das öffentliche Fachgespräch „Inhaltliche und finanzielle Perspektiven der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus“ in Berlin statt. Zu dieser partei- und ebenenübergreifenden Debatte eingeladen hatte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Aus Bund, Ländern und Kommunen, Koalition und Opposition, Politik und Zivilgesellschaft bunt gemischt waren die rund 70 interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer. In Details durchaus verschiedener Ansicht, im gemeinsamen Ziel jedoch einig, diskutierten sie einen Tag lang miteinander darüber, wie der Gefahr des Rechtsextremismus wirksam zu begegnen ist. Besondere Aktualität besitzt das Thema, da die modellhaften Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus Ende 2006 auslaufen.
Es steht eine Neustrukturierung an. In diesem Prozess wollen Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft eigene Akzente einbringen.
Bündnis 90/Die Grünen werden die Schlussfolgerungen aus dem Fachgespräch in ihre Überlegungen einbeziehen und wichtige Forderungen gegenüber der Regierung offensiv vertreten. Folgende Anregungen an die Politik gegen Rechtsextremismus wurden im Fachgespräch dargelegt:
- Die Bundesprogramme müssen in ihrem bewährten inhaltlichen Profil und mit einer besseren Mittelausstattung weitergeführt werden.
- Der Gedanke der „partizipativen Demokratie“ muss im neuen Konzept der Bundesregierung verankert werden.
- Die Finanzierung der Arbeit gegen Rechts muss auf mehrere Säulen gestellt werden: ein Bundesprogramm für aktuelle Kleinprojekte, institutionelle Förderung für Strukturprojekte (etwa innerhalb einer bestehenden Stiftung) und Fördertöpfe auf Landes- bzw. Kommunalebene.
- Der Programmvollzug darf nicht allein der Verwaltung überlassen bleiben. Parlamentarierinnen und Parlamenarier müssen ihre politische Steuerungs-macht das ganze Jahr ausüben, nicht nur während der Haushalts-verhandlungen.
- Mobile Beratungsteams verfolgen zwei Hauptansätze: einen intervenierenden in aktuellen Problemsituationen sowie einen langfristigen zur Entwicklung eines demokratischen Gemeinwesens. Für den ersten Ansatz eignen sich Projektmittel, für den zweiten ist eine dauerhafte Lösung zu finden.
- Opferberatungsstellen sind in ihrer Existenz unmittelbar bedroht. Ihre Förderung ist in den Plänen der Bundesregierung ab 2007 nicht vorgesehen. Angesichts der gewachsenen Zahl rechtsextremer Straftaten ist es nicht hinzunehmen, dass auf die Erfahrungen dieser spezifischen Experten verzichtet wird.
- Opferberatungsstellen und offizielle Stellen wie der Verfassungsschutz stellen immer wieder abweichende Opferzahlen dar. Dies liegt an einer unterschiedlichen Interpretation von Straftaten hinsichtlich deren Motivation. In diesem Bereich sollte die Sachkompetenz der Opferberatungsstellen stärker genutzt werden.
- Auch Projekte, die sich in keine Kategorie von Strukturprojekten einordnen lassen, aber einen dauerhaften Ansatz verfolgen (wie beispielsweise EXIT oder Schule ohne Rassismus) haben keine Perspektive. Der Bund ist in der Pflicht, für diese wertvollen Initiativen Planungssicherheit zu schaffen.
- Rechtsextreme Strukturen entwickeln und vernetzen sich mit großer Kontinuität. Die strukturelle Einbindung mobiler Beratungsstellen und Opferberatungsstellen in Kommunalverwaltungen und andere Strukturen vor Ort sowie überregional ist hingegen äußerst ungenügend ausgebaut. Kontinuität kann nur entstehen, wenn Existenzsicherung vorausgeht.
- Es bedarf eines Handlungskonzeptes, aus dem hervorgeht, wie sich die Ergebnisse der Modellphase in Regelpraxis überführen lassen.
- Ab 2007 sollen die Fördermittel aus den Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus von den Kommunen beantragt werden, welche dann Beratungsleistungen in der Zivilgesellschaft einkaufen. Damit erhalten die Kommunen Definitionsmacht über die Arbeit der Initiativen. Unter Experten bestehen große Bedenken, da in vielen Kommunen kein ausreichendes Problembewusstsein vorhanden ist oder Probleme mit Rechtsextremen geleugnet werden. Sachgerechter ist daher eine Mischlösung, in der sensibilisierte Kommunen und Träger gleichberechtigt Mittel beantragen dürfen.
- In Gegenden, in denen Regelstrukturen schwach ausgeprägt sind, können zivilgesellschaftliche, präventive Ansätze nicht Fuß fassen. Es wäre daher zu verkürzt, nur die finanzielle Sicherheit der Initiativen zu gewährleisten. Ebenso wichtig ist es, dies nicht zu Lasten anderer sozialer Strukturen vor Ort (etwa Schulen, Jugendarbeit, Kultur) zu tun.
- Wo breite lokale Bündnisse bestehen, sind sie sehr erfolgreich in der Zurückdrängung von Rechtsextremismus. Die Zusammenarbeit sollte sich nicht nur zwischen den Initiativen gestalten, sondern Parlamente, Verwaltungen, Polizei, Schulen, Beratungsteams, Opferberatungsstellen, Kirchen, Jugendringe, Bürgervereinigungen und andere integrieren, wie dies im sächsischen Pirna gelungen ist. Der Bund kann bei solchen Prozessen anregende Funktion ausüben und selbst in solchen Bündnissen mitwirken.
- Kommunalverwaltungen scheuen häufig die offene Konfrontation mit rechtsextremen Kräften vor Ort. Die NPD beispielsweise stellt sich offiziell als demokratische Partei dar und ist nicht verboten. Sie besitzt einklagbare Rechte. Verwaltungen sind verunsichert, wie weit sie diese Partei eingrenzen dürfen. Hier ist gezielte Weiterbildung durch kompetente Berater notwendig.
- Der Konsens aller Demokraten beruht auf aktiver Kommunikation, die von gegenseitiger Wertschätzung getragen ist. Dies sollte in der politischen Arbeit gegen Rechts stets beachtet werden.
- Das Thema des „institutionellen Rassismus“ muss offensiver diskutiert werden. Auch in dem neuen Programmentwurf kommt der Anspruch einer „interkulturellen Öffnung von Behörden“ nicht vor. Eine interkulturelle Kundenorientierung beispielsweise in Ausländerbehörden ist erforderlich.
- Es besteht Nachholbedarf in pädagogischen Konzepten gegen Antisemitismus, bei Formen der Partizipation von Migrantinnen und Migranten sowie im Umgang mit jungen Menschen, die gefährdet sind, in rechte Jugendszenen abzugleiten. Dazu sollten in den Bundesprogrammen entsprechende Leitgedanken formuliert werden.
- Die politisch-parlamentarische Kommunikation zwischen Bund und Ländern ist hinsichtlich der Ausgestaltung und Finanzierung von Programmen gegen Rechtsextremismus dringend verbesserungsbedürftig.
- Bündnisse zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und solchen im Bildungsbereich sind notwendig.
- Mit der Erziehung zu Werten wie Toleranz und interkulturellen Austausch muss früh begonnen werden, bereits in Kindertagesstätten und Schulen.
- Große deutsche Unternehmen müssen auf ihre Verantwortung zur Meinungsbildung stärker hingewiesen werden. Wenn sie in ihre Ausbildungsinhalte Anregungen der Initiativen aufnehmen würden, könnten Programme wie XENOS wesentlich größere Breitenwirkung entfalten.
- Zivilgesellschaft braucht Austausch. Die Experten wünschen sich den Ausbau von Bundesnetzwerken, um zu einer Standardisierung und damit Qualitätssicherung der Arbeit gegen Rechts zu kommen.
- Die Gründung einer unabhängigen Beobachtungsstelle ist ernsthaft zu prüfen, da Rechtsextremismus gesamtgesellschaftlich angegangen werden muss.
- Zivilgesellschaft und Staat müssen als Partner „auf Augenhöhe“ in Austausch treten und zusammenarbeiten.
- Die Politik muss einer Vorbildwirkung gerecht werden, um Bürgerinnen und Bürger mehr als bisher zu zivilgesellschaftlichem Engagement zu ermutigen.
- Es ist wünschenswert, dass PolitikerInnen sich nicht vorwiegend über Ideologien und große Thesen, sondern über praktische Ereignisse auszutauschen und dafür ganz pragmatisch Lösungen zu suchen. Eine Aufgabe erfahrener Initiativen könnte in der Supervision und Begleitung solcher Annäherungsprozesse bestehen.
- Das Ignorieren von politischen Aussagen und Aktionen rechtsextremer Politiker ist kein geeignetes Mittel einer Auseinandersetzung. Stattdessen sollte auf parlamentarischer Ebene die vermeintliche Sacharbeit rechtsextremer Abgeordneter im Einzelnen analysiert und bewertet werden, um das gefährliche Menschen- und Gesellschaftsbild rechtsextremer Politiker zu entlarven.
- Da Fremdenfeindlichkeit ihre Ursachen in der Mitte der Gesellschaft hat, müssen auch die psychologischen Auswirkungen von Sprache beleuchtet werden. Eine Äußerung wie „Multikulti hat versagt“ ist dabei nicht nur inhaltlich fragwürdig, sondern auch gefährlich hinsichtlich ihrer Wirkung. Sie schafft Vorurteile.
- Das Thematisieren von Problemen sollte nie (wie etwa nach Heyes Ausspruch über „no-go-areas“) skandalisiert, sondern als Chance für einen offenen gesellschaftlichen Diskurs genutzt werden.
- Die Probleme unserer Einwanderungsgesellschaft dürfen nicht im Zusammenhang mit einer pauschalen „Kampf der Kulturen“-Debatte abgehandelt werden. Eine solche ethnische Deutung gesellschaftlicher Probleme verstärkt Vorurteile in der Bevölkerung und schafft – besonders vor dem Hintergrund wachsender sozialer Spannungen - eine argumentative Plattform für rechtsextreme Meinungsmache. Die daraus folgende gesellschaftliche und politische Verunsicherung müssen demokratische Parteien reflektieren und aufgreifen.
- Aus Westdeutschland werden verstärkt Beratungsleistungen ostdeutscher Initiativen gegen Rechtsextremismus nachgefragt. Die Erfahrungen der mobilen Beratungsteams und der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt müssen mit geeigneten Mitteln in Westdeutschland implementiert werden.
- Rechtsextremismus ist kein reines Ostproblem. Im Westen wurde allerdings versäumt, gegenzusteuern, so dass sich dort Strukturen schleichend ausbauen. Hier wird der Westen künftig von der Erfahrung der Initiativen im Osten profitieren können.
- Rechtsextremismus ist weder ein Jugendproblem noch ein Übergangsphänomen. Rechtsextreme Einstellungen nehmen in allen Schichten der Bevölkerung tendenziell zu. Parallel dazu wird das Handeln innerhalb der rechten Szene immer bürgerlicher. Diese Trends müssen bei aktuellen Ansätzen stärker berücksichtigt werden.
- Nach wie vor bezieht sich das Programm inhaltlich vorrangig auf Jugendliche, während rechtsextreme Einstellungen längst ein gesamtgesellschaftliches Problem quer durch Alter, Geschlecht und soziale Verhältnisse geworden ist.
Mehr Informationen? Fotos? Große Fassung des Berichtes: [hier weiterlesen].
[Word-Dokument dieser Fassung]
[Redebeitrag von Stefan Schönfelder]
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