Veranstaltungsbericht Fachgespräch der Bundestagsfraktion

"Rechtsextremismus: Auch Frauen aktiv"
26. Juni 2007

Rassistische und antisemitische Haltungen werden bislang hauptsächlich bei Männern verortet. Die Rolle von Frauen im Rechtsextremismus erscheint dagegen eher diffus und weitgehend unerforscht. Aber sie treten zunehmend in Erscheinung.

Ein Grund für die grünen Abgeordneten Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus, und Irmingard Schewe-Gerigk, frauenpolitische Sprecherin, zum Thema Frauen im rechtsextremen Spektrum am 20. Juni ein Fachgespräch zu veranstalten. Professorin Gudrun Ehlert von der Hochschule Mittweida sowie Kirsten Döhring und Rena Kenzo vom Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus stellten ihre Forschungen zum Thema vor.

Kenzo und Döhring berichteten, dass es in den letzten Jahren eine Art "Gründungsboom" rechtsextremer Frauenorganisationen gegeben habe. Neonazi-Frauen verschafften sich zunehmend eine eigene Stimme in der Öffentlichkeit. Der "Ring Nationaler Frauen" – die NPD-Frauenorganisation – wurde gegen den Widerstand von Männern in diesem Spektrum durchgesetzt. Sie seien aktiv und nicht zu unterschätzen.

Wenig Informationen
Es gibt wenig statistisches oder anderes Material über rechtsextreme Frauen. Das liegt zum einen an der fehlenden Forschung, zum anderen am "Sich-Bedeckthalten" der Szene. Hinzu kommt, dass Frauen im rechtsextremen Spektrum stärker im Hintergrund agieren. So führen sie Online-Shops oder organisieren den Versand von Kleidung oder Schmuck mit rechtsextremen Emblemen, sie betreuen inhaftierte rechtsextreme Männer oder führen Kneipen. Sie sind als passive Zuschauerinnen bei Gewalt zugegen, in einigen Fällen agierten sie als "Lockvögel". Selten werden sie selbst als Gewalt-Täterinnen aktenkundig. Die Informationen sind spärlich und kaum quantitativ zu erfassen. Zwischen fünf und zehn Prozent rechtsextrem motivierter Gewalttaten werden von Frauen ausgeübt.

Auch zu der Anzahl von Frauen in den rechtsextremen Parteien gibt es kaum belastbares Material. In Bundes- und Landesvorständen finden sich je nach rechtsextremer Partei angeblich sechs bis 15 Prozent Frauen. Republikaner und NPD melden einen Frauenanteil von 20 Prozent. Da diese Angaben auf den Aussagen der Parteien selbst beruhen, gibt es allerdings keine Möglichkeit, sie zu überprüfen.

Das rechtsextreme Frauenbild ist nicht einheitlich. Überwiegend wird von einer Geschlechterdifferenz ausgegangen, der zufolge Frauen "gleichwertig", aber nicht "gleichartig" sind. Herausgestellt wird vor allem die Rolle der Mutter und Erzieherin. Auf den Feminismus wird Bezug genommen, indem ein selbst definierter "Postfeminismus" deklariert wird: Eine Abkehr vom derzeitigen Zustand der Gleichberechtigung, die als zu stark empfunden wird. Einige wenige Frauen fordern gleiche Rechte für Männer und Frauen. Die Organisationen sprechen, ebenso wie die gesamte extreme Rechte, soziale, traditionell eher "links" besetzte Themen an, um bei den Frauen zu punkten.

Mädchen nicht im Blick
Professorin Gudrun Ehlert gab als einen der Hauptgründe für die Zugehörigkeit von Frauen zu Neonazi-Gruppen soziale Benachteiligung an. Auch die Aufwertung von Weiblichkeit, die sozialen Kontakte und ein Gefühl der Stärke gegenüber anderen sieht sie als Faktoren. In einer Befragung von 22 Jugend- und SozialarbeiterInnen aus Sachsen fand sie heraus, dass das Thema "rechte Mädchen" von diesen eher als randständig und ungewöhnlich angesehen wird. Solche Mädchen werden in der Jugend- und Sozialarbeit vor Ort kaum wahrgenommen. Allerdings werden die Belange und Bedürfnisse von Mädchen generell wenig berücksichtigt. Hier ist - sowohl was den Bereich Arbeit gegen den Rechtsextremismus als auch Arbeit mit Mädchen generell angeht - dringender Handlungsbedarf gegeben.

Forderungen
Die Expertinnen empfahlen verschiedene Ansätze für den Umgang mit der Problematik:

  • Neonazi-Mädchen und -Frauen müssen als politisch handelnde Akteurinnen und nicht als eher harmlose, unpolitische Mitläuferinnen wahrgenommen werden.
  • Die Forschung zum Rechtsextremismus muss den Genderansatz integrieren.
  • Die Jugendarbeit vor Ort muss verstärkt werden. Mädchen, aber auch Jungen, brauchen mehr Angebote und AnsprechpartnerInnen.
  • Es müssen spezifische und auf die aktuellen Entwicklungen in der Neonazi-Szene zugeschnittene Angebote für Mädchen und Frauen entwickelt und unterbreitet werden.
  • In Kitas und Schulen müssen von Anfang an Demokratie und Menschenrechte gelehrt und gelebt werden.
  • Die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Ideologien auch unter Genderaspekten muss in die Lehrpläne pädagogischer Studienrichtungen integriert werden.
  • Frauen und Kinder müssen vor häuslicher Gewalt, die bei Paaren aus der Neonazi-Szene keine Seltenheit zu sein scheint, besser geschützt werden. Gewaltschutz muss auch ein Aspekt für speziell auf Frauen abgestimmte Ausstiegsprogramme sein.
  • Für Angestellte von Kommunalverwaltungen, Polizeibehörden und BürgerInnenämtern müssen Fortbildungsprogramme mit Informationen über die Neonazi-Szene angeboten werden.
  • Initiativen vor Ort müssen von PolitikerInnen auf Bundes- Länder- und Kommunalebene ideell und materiell ausreichend unterstützt werden.

Bündnis 90/Die Grünen werden Rechtsextremismus weiterhin entschieden bekämpfen. Die spezifischen Herausforderungen durch Neonazi-Frauen werden wir dabei aufmerksam beobachten. Wir werden die inhaltliche Auseinandersetzung über die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus mit der Koalition weiterführen. Die Bundesprogramme müssen wieder stärker zivilgesellschaftlich ausgerichtet werden, damit Initiativen vor Ort problemspezifisch und ohne bürokratische Hürden forschen, beraten und helfen können.

DOWNLOADS

[Mädchen und junge Frauen in der rechten Szene – Erfahrungen von SozialarbeiterInnen in Sachsen, Vortrag von Prof. Dr. Gudrun Ehlert, Hochschule Mittweida]

[Handout für die TeilnehmerInnen am internen Fachgespräch, Juni 2007, "Mädchen und Frauen im Rechtsextremismus"]

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