Aktuelle Stunde, 20.09.2006

Rechtsextremismus wirksam bekämpfen – Konsequenzen aus dem Wahlergebnis der NPD in Mecklenburg-Vorpommern

Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
 
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
7,3 Prozent derjenigen, die [am vergangenen Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern] ihre Stimmzettel abgegeben haben, glauben, dass unser Land Rechtsextremisten braucht, um voranzukommen. In Berlin gewannen die Neonazis im Verhältnis zur vorigen Wahl 20 000 Stimmen hinzu und zogen in fünf Bezirksvertretungen ein. Der NPD-Wahlerfolg vor zwei Jahren in Sachsen war also keine Eintagsfliege. Wer von diesen aktuellen Ergebnissen schockiert ist, der hat die schleichende Entwicklung an der braunen Front viel zu lange ausgeblendet.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
 
Alarmierende Hinweise gibt es seit Jahren. Der Verfassungsschutz berichtet von einer Zunahme rechter Gewalttaten um 23,5 Prozent in nur einem Jahr. Umfragen zeigen diffuse fremdenfeindliche Einstellungen bei bis zu 60 Prozent der Bevölkerung. Negative Haltungen zu Fremden gehen Hand in Hand mit Forderungen nach Vorrechten für Deutschstämmige.
 
Wir müssen uns fragen: Was macht Nazis in Deutschland stark? In sozial schwachen Wirtschaftsgebieten kümmern sich Rechtsextreme um die praktischen Probleme der Bevölkerung und bieten das an, was sich viele Menschen wünschen: soziale und kulturelle Angebote, Gemeinschaftsgefühl und Freizeitspaß. Besonders in Regionen, in denen die demokratischen Parteien zu wenig in der Bevölkerung präsent sind, fällt dies auf fruchtbaren Boden. Das simple Erklärungsmuster, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit mache Menschen zu Naziwählern, greift allerdings zu kurz. Auch im bürgerlichen Milieu, Herr Burgbacher, punkten Rechtsextreme mit Antisemitismus und mit der kulturellen Abwertung Andersdenkender.
 
Wie lautet die Antwort auf diese Entwicklungen? Als Stichworte nenne ich die Diskussion über die Abschaffung der Bundesprogramme, die Verharmlosung von Naziaktivitäten als Ostproblem, die strafrechtliche Verfolgung von antifaschistischen Symbolen und die verunglückte NPD-Verbotsdebatte. So darf unsere Antwort doch wohl nicht ausfallen.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
 
Auf rechtsextremen Internetseiten wird darüber gewitzelt, wie hilflos sich die demokratische Politik gebärdet. In einer Schlagzeile wird getitelt:
Der „Kampf gegen rechts“ tobt heftig, solange irgendjemand dafür bezahlt.
In diesem Artikel wird hinterfragt, ob es uns Demokraten mit dem Kampf gegen den Rechtsextremismus wirklich ernst ist. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass über jeden Cent gestritten wird und die Länder und Kommunen nicht so recht in die Bundesförderung einsteigen wollen. Ja, die Nazis freuen sich, wenn Netzwerke und Beratungsstellen nicht mehr arbeitsfähig sind. Sie machen sich über die Angst der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lustig, die kurz vor ihrer Kündigung stehen.
 
Was machen wir? Ursprünglich war es die Idee der Grünen bzw. der rot-grünen Bundesregierung, das Programm CIVITAS aufzulegen, mit dem Initiativen in den neuen Ländern gefördert werden sollten. In den vergangenen fünf Jahren konnten auf diesem Wege wertvolle Strukturprojekte entstehen. Sie haben Netzwerke gebildet. Sie beraten Kommunen, helfen Opfern rechter Gewalt und Naziaussteigern und klären an Schulen auf. Wir Grüne haben Jahr für Jahr dafür gesorgt, dass sie ihre Arbeit fortsetzen konnten.
 
Auch jetzt kämpfen wir weiter. Teilweise haben wir gemeinsam schon etwas erreicht. Nach der Bundestagswahl sah es zunächst so aus, als würde die Union die Mittel für diese Programme streichen; das wurde verhindert. Später war eine Ausweitung auf den Linksextremismus und auf den Islamismus vorgesehen; auch das ist vom Tisch. Ich frage mich: Wo haben wir es zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern mit Linksextremismus zu tun? Meines Erachtens gibt es ihn dort nicht.
 
Ende 2006 sollten diese Programme auslaufen, ohne Übergangslösung. Jetzt hat ihnen das Bundesfamilienministerium, erschrocken und alarmiert durch die jüngsten Landtagswahlergebnisse, eine Gnadenfrist eingeräumt. Die Initiativen werden ein halbes Jahr länger als geplant Fördergelder erhalten. Das ist allerdings nur eine Scheinlösung; denn der Gang zum Arbeitsamt wird für die Mitarbeiter dieser Initiativen nur verschoben.
 
Was aber geschieht dann? Das neue Programm soll kommen. Es startet allerdings ein halbes Jahr später als ursprünglich angekündigt. Wenn gesagt wird, dass man ein neues Programm auflegt und dafür erneut Mittel in Höhe von 19 Millionen Euro zur Verfügung stellt, klingt das zwar gut, aber es kommt auf die Details an.
Erstens. Auf das neue Programm können sich keine Strukturprojekte bewerben. Das dürfen nur Modellprojekte tun, die etwas Neues anbieten, nicht jedoch die bewährten Initiativen. Seit dieser Woche wird im Ministerium von einer „bundesweiten Einsatzgruppe“ von Sozialpädagogen gesprochen, die beraten soll. Allerdings sage ich der CDU/CSU: All das gibt es schon. Man muss es nicht neu erfinden.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
 
Außerdem ist dieser Begriff meines Erachtens militärisch geprägt. Daher sollte er, zumindest in diesem Zusammenhang, nicht verwandt werden.
Zweitens. Für längerfristige Strategien dürfen künftig nur Kommunen und Landkreise Anträge stellen. Die freien Träger bleiben außen vor. Wir werden für ein neues Antragsrecht, für eine gleichberechtigte Antragstellung kämpfen.
 
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
 
Drittens. Wir akzeptieren nicht, dass die Initiativen jedes Jahr aufs Neue um ihre Existenz bangen müssen. Die Förderung muss institutionalisiert werden.
 
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])
 
Mit 5 Millionen Euro könnten die Strukturprojekte dauerhaft gesichert werden. Wenn die Bundesregierung jährlich Millionen für dies und jenes ausgibt, sollten doch auch diese 5 Millionen bereitgestellt werden können.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheiden Sie sich klar, wen Sie stärken wollen: die Zivilgesellschaft oder Rechtsextreme.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

 

 

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