Onlinetagebuch zur INFOTOUR

Eindrücke Monika Lazars während der Tour zu Initiativen gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern.

Tag 6 - in Sachsen Teil 2- Pirna

Am 3.5. fuhr ich gemeinsam mit meinem ehemaligen Praktikanten Michael Wallies nach Pirna. Begleitet wurden wir von Thielko Griess vom Leipziger Uniradio „mephisto 97.6“.
Am Pirnaer Bahnhof wurden wir von Sven Forkert, Koordinator „Extremismus“ in der Stadtverwaltung Pirna abgeholt. Er teilte uns als erstes mit, dass er und der OBM Markus Ulbig keine mediale Begleitung bei den Terminen wünschen. Das stieß natürlich auf Verwunderung des Radioreporters, so konnte er seine Informationen nur bei der Aktion Zivilcourage holen.

Forkert und Lazar Stadtrundgang in pirna
Sven Forkert holt Monika Lazar vom Bahnhof ab. Bild rechts: Bei der Stadtführung.

Herr Forkert führte uns erst kurz durch die Stadt. Nach dem Rundgang traf noch Claus Krüger (Landessprecher und Kreissprecher in der Sächsischen Schweiz) zu uns. Gemeinsam unterhielten wir uns über die Verhältnisse vor Ort. Herr Forkert erzählte uns, dass es seine Stelle seit November 2005 gibt und er vorher bei der Aktion Zivilcourage (AZ) in Pirna gearbeitet hat. Seine Stelle wird je zur Hälfte von der Stadtverwaltung Pirna und vom sächsischen Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen“ getragen und ist direkt dem Büroleiter des OBM als Stabsstelle unterstellt.

Damit ist Pirna eines der wenigen positiven Beispiele, wo eine Kommune nicht nur die Probleme mit dem Rechtsextremismus erkennt und benennt, sondern auch finanziell unterstützt. Zur Koordinierung der verschiedenen Aufgaben gibt es eine Steuerungsgruppe, in der neben dem OBM und dem Landrat, auch der Polizeichef der Polizeidirektion, VertreterInnen des Regionalschulamtes, der Staatskanzlei, der sächsischen Ministerien des Inneren, Justiz, Kultus und Soziales mit am Tisch sitzen. In den wenigen Monaten, in denen es diese Steuerungsgruppe gibt, kann man schon sagen, dass es zur Verbesserung des Informationsaustausches und der Handlungsmöglichkeiten geführt hat.

Im D5 im Kulturzentrum D5
Links: vor dem Rathaus. Rechts: Monika Lazar, Markus Ulbig, OBM von Pirna, und Claus Krüger, Landesvorstand B90/GRÜNE

So ausgerüstet mit den wichtigsten Grundinformationen ging es zum Gesprächstermin des OBM. Dieser ist seit 2001 im Amt. Das Problem Rechtsextremismus hat er von Anfang an thematisiert und ist an konsequenten Lösungsvorschlägen interessiert. Er hat erkannt, dass ehrenamtliches Engagement nicht ausreicht, sondern erfolgreiche kontinuierliche Arbeit auch finanziell abgesichert werden muss.

Die Universität Bielefeld wird im Rahmen der Evaluierung des sächsischen Landesprogramms „Weltoffenes Sachsen“ auch die Steuerungsgruppe in Pirna bewerten. Danach hofft der OBM auf eine weitere Verbreitung seines Modells. Die Stadt Riesa hat sich schon über die hiesigen Erfahrungen erkundigt und in der Stadt Löbau gibt es seit neuestem auch eine Stabsstelle zum Thema Rechtsextremismus.
OBM Ulbig ist auch Mitglied im Präsidium des Sächsischen Städte- und Gemeindetages und merkt auch dort immer noch, dass der Rechtsextremismus weiterhin tabuisiert ist und erst wenige Kommunen und Kreise bereit sind, Probleme zu erkennen, benennen und finanziell zu unterstützen.
Mir hat das persönliche Engagement des OBM imponiert und ich hoffe, er findet bald noch möglichst viele Nachahmer.

Als nächstes ging es in die Räume der Aktion Zivilcourage (AZ). Dort stieß auch wieder unser Radiomann zu uns. Es waren in der Runde neben mehreren VertreterInnen der AZ auch eine Vertreterin von Afreu ( Bürgerinitiative Afroeuropäische Familien und Interessierte) und ein Vertreter vom Sächsischen Jugendring anwesend.

Aktion Zivilcourage Im Gespräch
Aktion Zivilcourage


Die AZ berichtete, dass sich 1998 vier Jugendliche aus Pirna zusammenfanden, die rechtsextremistischen Übergriffen ausgesetzt waren, und dem etwas entgegensetzen wollten. Dazu gründeten sie die AZ. Die Anfänge waren wie überall sehr mühselig. Mittlerweile hat die AZ 36 aktive Mitglieder unterschiedlichen Alters. Sie ist anerkannt und bietet eine breite Mischung verschiedener Aktivitäten im Landkreis Sächsische Schweiz an, angefangen bei Aufklärung und Information, über Bildungsprogrammen an Schulen bis hin zu Kulturangeboten wie Lesungen, Theater, Konzerte, internationale Jugendbegegnungen und dem „Markt der Kulturen“ in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Pirna. Die AZ finanziert sich zu je einem Drittel aus Mitteln von Civitas, dem „Weltoffenen Sachsen“ und dem Landkreis, Stadtverwaltung und Spenden.

Die Bürgerinitiative Afreu hat sich 2001 gegründet, nachdem es verstärkt zu rechtsextremistischen Übergriffen besonders an dunkelhäutigen Kinder und Jugendlichen kam und kaum jemand darüber geredet hat. Bei der AZ fanden sie Unterstützung und gemeinsam haben sie die Probleme öffentlich gemacht. Afreu versteht sich vor allem als Sprachrohr für die Betroffenen, die sich nicht äußern. Mittlerweile ist die Wahrnehmung der Problematik etwas besser geworden, wobei es trotzdem immer wieder zu unschönen Erfahrungen z.B. bei Schulen und Verwaltungen kommt.

Der Vertreter des vom Sächsischen Jugendringes erzählte uns, dass seine Organisation ein Dachverband verschiedener Kinder- und Jugendvereine ist. Seit 2000 gibt es ein mobiles Projekt mit drei MitarbeiterInnen „Jugend im ländlichen Raum“, das aufsuchende Jugendsozialarbeit anbietet. Seit 2003 gibt es auch eine Stelle für politische Bildung im niedrigschwelligen Bereich, die über Civitas und dem Programm „Weltoffenes Sachsen“ finanziert wird. Dort werden in sechs Kommunen Jugendclubs und Treffpunkte an Brennpunkten betreut.
Diese verschiedenen Beispiele engagierter Akteure zeigt, wie erfolgreich kontinuierliche Arbeit werden kann, wenn die zuständigen Stellen Wertschätzung für die Arbeit entgegenbringen.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass in Pirna beispielhaft erlebbar ist, wie in fünf Jahren eine von wenigen Jugendlichen gegründete Initiative anerkannt und durch finanzielle Unterstützung professionalisiert wurde. Durch die verschiedenen Förderprogramme des Landes und des Bundes konnte die wichtige Arbeit kontinuierlich ausgebaut werden. Zum Schluss kam noch die Kommune hinzu, die extra eine Stelle in der Stadtverwaltung teilweise mitfinanziert.
Kurz gesagt: So sollte es funktionieren!

Auch die Akteure der AZ sind froh, dass ihre Arbeit anerkannt und unterstützt wird. Die Stimmung im Landkreis hat sich geändert. Auch wenn die Probleme mit dem Rechtsextremismus in der Sächsischen Schweiz nach wie vor groß sind, können sich diese nicht mehr stillschweigend auf die Mehrheit der öffentlichen Meinung verlassen.
Ich wünsche dem „Pirnaer Modell“ noch viele Nachahmer!

[Sehen Sie hier noch einige Fotos aus den Vorortterminen.]

[Lesen Sie hier einen Bericht von Michael Wallies über den Besuch in Pirna.]

[Pressebericht in der Pirnaer Zeitung]

Interview mit Monika Lazar während ihrer Infotour gegen Rechtsextremismus am 03. Mai in Pirna - Monika Lazar wurde in Pirna von Thielko Griess, Reporter von "radio mephisto 97.6", begleitet. Der Beitrag wurde am 04.05.2006 um 18.00 Uhr gesendet [als *.mp3 laden, ca. 8 Mb] [Link zu radio mephisto]

[Lesen Sie zu den anderen Tagen: Onlinetagebuch - Übersicht]

« zurück


 
 
clean

Kontakte

Ausgewählte Initiativen gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in Sachsen
[Liste]

 

clean
clean