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Newsletter 2/ 2005
Neuwahl und andere Turbulenzen
Mein zweites Vierteljahr im Deutschen Bundestag sollte
nun nach der Eingewöhnung von inhaltlicher Arbeit geprägt
sein. Wie so oft im Leben kam es jedoch ganz anders als ich es geplant
hatte.
Die Überraschung des Jahres:
Neuwahl
Am 22. Mai kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder die
Neuwahl an. Diese Nachricht traf mich wie fast alle anderen überraschend.
Ich fand den Schritt nicht nachvollziehbar, denn im verbleibenden
Jahr hätte die rot-grüne Bundesregierung begonnene Projekte
weiter ausgestalten und erste Erfolge der Reformen vorweisen können.
Die Wirkungen von HARTZ IV etwa wären möglicherweise positiv
erfahrbar geworden. Auch persönlich gab die Entscheidung mir
Stoff zum Nachdenken: Gerade hatte ich mich eingearbeitet, nun sollte
ich gleich wieder in den Wahlkampf ziehen.
Grüne Kreiskonferenz in
Zwickau
Am 28. Mai 2005 fand eine bündnisgrüne Kreiskonferenz
statt, auf der das weitere Vorgehen besprochen wurde. Sie war sehr
gut besucht. Ich konnte deutlich die hohe Motivation meiner ParteifreundInnen
spüren, einen echten grünen Wahlkampf zu machen. Die SPD
hatte die Wahl ausgerufen mit dem Zusatz: „Von jetzt an jeder
für sich!“ Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist
das kein Problem, denn wir haben genügend gute eigene Ansätze,
die es nun zu vertreten gilt. Der sächsische Bundestagsabgeordnete
Peter Hettlich und ich kündigten unsere Kandidaturen für
die ersten beiden Plätze der Landesliste an.
Grüne Mitgliederversammlung
in Leipzig
Mittlerweile hatte ich Konkurrenz um die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl
bekommen. Die Landesvorstandssprecherin der grünen Sachsen,
Eva Jähnigen, wollte auch auf Platz 1 der Landesliste. Es gehört
zu den Vorteilen einer Demokratie, dass die Menschen die Wahl haben.
So stellten Eva Jähnigen und ich uns auf der Leipziger Mitgliederversammlung
am 21. Juni vor und beantworteten die Fragen der Anwesenden. Der
Kreisverband Leipzig ist der mitgliederstärkste Verband der
sächsischen Bündnisgrünen auf kommunaler Ebene. Ich
freute mich daher besonders, dass ich dort ein klares Votum für
meine Kandidatur erhielt. Außerdem wurde ich zur Direktkandidatin
für den Wahlkreis Leipzig-Süd berufen.
Veranstaltung „Nachhaltige
Unterstützung der Zivilgesellschaft in der Auseinandersetzung
mit Rechtsextremismus"
Trotz der Wahlvorbereitungen betrieb ich die inhaltliche Arbeit
weiter. Rechtsextremismus ist gefährlich und wird sich nicht
von allein erledigen. Darin waren sich die TeilnehmerInnen des von
mir organisierten Fachgesprächs am 23. Juni einig. Wie man
dem Problem wirksam entgegentreten kann und welche Schwierigkeiten
es dabei gibt – darüber sprachen rund siebzig interessierte
BürgerInnen, PolitikerInnen und VertreterInnen gesellschaftlicher
Initiativen aus ganz Deutschland einen Tag lang miteinander. Hier
einige zentrale Aussagen:
Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckart: Rechtsextremismus
wächst heute aus der Mitte der Gesellschaft und ist auch in
demokratischen Parteien mehr oder weniger verdeckt anzutreffen.
Bundesvorsitzende Claudia Roth: Dieser Entwicklung kann man nur
mit einer „langfristigen Auseinandersetzung in sozialer Breite“
entgegen wirken.
Integrationsbeauftragte Marieluise Beck: Vorurteile gegen Minderheiten
nehmen immer mehr zu. Sie werden geäußert als „gefühlte
Wahrheiten“, wie z.B. „In Deutschland entstehen immer
mehr Parallelgesellschaften von MigrantInnen, die kein Deutsch lernen
wollen.“ oder „Der islamische Fundamentalismus in Deutschland
nimmt immer mehr zu. Ausländer gehen zunehmend regelmäßig
in die Moschee.“ Statistische Beweise für diese angeblichen
Trends liegen nicht vor.
Grit Hanneforth, Kulturbüro Sachsen e.V.: Rechtsextremismus
wird bei fehlenden Gegenangeboten schnell zur dominanten Jugendkultur.
Mobile Beratung kann durch Aufklärung und Vernetzung nachhaltige
demokratische Strukturen fördern.
Dominique John, Opferperspektive Brandenburg: Opfer rechtsextremer
Gewalt brauchen eine spezifische Opferberatung. Die Opfer gehören
häufig sozialen Randgruppen an. Meist suchen sie nicht selbst
Hilfe, daher hat die Opferberatung einen aufsuchenden Ansatz. Neben
unbürokratischer, schneller und professioneller Hilfe wird
das soziale und politische Umfeld der Opfer aktiviert. Den Tätern
muss klar werden, dass die Mehrheit der Gesellschaft ihr Handeln
verurteilt.
Roman Ronneberg, Miteinander e.V. Sachsen-Anhalt: Freie Kameradschaften
werden immer häufiger und sind juristisch schwer fassbar. Besonders
im Osten haben sie Erfolg durch Abwesenheit von Zivilgesellschaft,
autoritären Identitätsdiskurs (z.B. kollektive Entwertungs-Erfahrung
nach der Wiedervereinigung) und rechtsextreme Jugendkultur mit hoher
Integrationskraft. Rechtsextreme in Kameradschaften interessieren
sich für Probleme vor Ort und nutzen Proteststimmungen wie
z.B. gegen HARTZ IV, um rechtsextreme Gedanken zu verbreiten.
Lorenz Korgel, Koordinator der mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus
in Ostdeutschland: Unser Ziel ist ein „sekundären Präventionsansatz“.
Unsere Projekte können die Wirkungsmacht des Rechtsextremismus
einschränken und die Bereitschaft zu zivilen Protesten verbessern.
Marieluise Beck, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung: Die
Modellphase für die Rechtsextremismus-Programme des Bundes
läuft 2006 aus. Da die Landesregierungen nicht bereit sind,
die Mittel dafür zu erbringen, trägt der Bund auch künftig
einen Großteil der Verantwortung.
Anna Lührmann, zuständige Haushaltspolitikerin der Fraktion:
Die Union droht immer wieder mit Streichung der Bundesprogramme.
Die Grünen haben das bisher verhindern können. Langfristig
muss der Bund die Kommunen finanziell stärken, damit diese
selbst Geld für Projekte gegen Rechts haben.
Peter Hettlich, Sprecher der AG Ost: Eine Stiftung kann eine solide
Alternative zum Modellprojekt sein, da sie eine sichere Finanzbasis
schafft und unabhängig von politischen Mehrheiten arbeitet.
Um die Bundesprogramme weiter mit 19 Millionen Euro jährlich
fördern zu können, wäre aber ein Stiftungskapital
von circa 400 Millionen Euro nötig. Da dieser Betrag nicht
zu erbringen ist, sind kreative Misch-Lösungen gefragt. Um
speziell die Strukturprojekte der mobilen Beratung und Opferberatung,
deren Know-how unbedingt erhalten werden muss, zu sichern, genügen
50 bis 100 Millionen Euro. Der Rest muss von Ländern, Kommunen,
Stiftungen und Spenden zusammengetragen werden.
Dr. Reiner Schiller-Dickhut, Bündnis für Demokratie und
Toleranz: Heute finden die Förderprogramme gegen Rechts in
vielen Kommunen Zustimmung. Geeignete Handlungsansätze und
Projektformen konnten entwickelt werden. Die wissenschaftliche Evaluierung
ergab, daß das Leitziel „Stärkung der Zivilgesellschaft“
sich als richtig und wirksam erwiesen hat. Ohne finanzielle Verstetigung
würden wertvolle Ressourcen verloren gehen. Das dürfen
wir nicht zulassen.
Monika Lazar, MdB: Es ist bedauerlich, dass durch die Neuwahl die
laufende Arbeit abrupt gestoppt wird. Gerade in den vergangenen
Wochen gab es gemeinsam mit der SPD Erfolg versprechende Überlegungen
zum Stiftungsmodell. Ein Teil der Rechtsextremismus-Programme sollte
an die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
angegliedert werden. So hätten wir das Anfangskapital senken
und bis zur Wahl 2006 eine nachhaltige Finanzbasis schaffen können.
Kampf gegen Rechtsextremismus ist immer auch Kampf für mehr
Demokratie. Dafür müssen alle demokratischen Parteien
Verantwortung übernehmen. Stärkung der Demokratie ist
ein gesellschaftliches Daueranliegen, das nicht mit der Wahlperiode
endet. Auch nach der Wahl werde ich meine Arbeit zu Aufklärung
und Vernetzung gegen Rechts fortsetzen.
Einen ausführlicheren Veranstaltungsbericht finden Sie hier
auf meiner Homepage.
Monika Lazar, MdB
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